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Mein alter Herr Eberhard - Folgethread

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  • Mein alter Herr Eberhard - Folgethread

    Mein alter Herr Eberhard

    Ich werde ab jetzt immer mal wieder – so es mir die Zeit und eine intakte Elektronik erlaubt – immer mal wieder unter diesem Thread (der dann ein Folgethread wird) berichten, wie es meinen Vater ergeht. Das scheint mit ein gutes Vorgehen zu sein, welches auch für den Experten eine zusammenhängende Schilderung des Krankheitsverlaufes bei Morbus Alzheimer darstellt. Vielleicht ist es anderen von Nutzen.

    Noch zu Weihnachten 2005 konnte ich mit meinem Vater ganz normal über alles mögliche sprechen, es waren keine Ausfallserscheinungen ersichtlich. Dann wurde er über Neujahr in eine Klinik zur Behandlung verengter Beinarterien eingewiesen und bekam nach einer erfolglos verlaufenden Dilatation (ein Ballon war während des Eingriffs geplatzt) einen Bypass. Aus der Narkose erwacht, zeigte Vater starke Desorientierungserscheinungen, die tagelang anhielten. Wieder zuhause, suchte er seinen Hausarzt auf und machte einen Test bezüglich Demenz, der aber negativ verlief. Auch besserte sich sein Zustand schnell, so dass meine Mutter und ich der Ansicht waren, dass es wohl Nebenwirkungen der Narkose oder anderer Medikamente waren, die vorübergehend eine demenzartigen Zustand hervorgerufen haben könnten.

    Im Sommer 2006 jedoch kam es zu ersten Auffälligkeiten bzgl. angeblicher Briefe, nach denen Vater fast das ganze Haus absuchte. Er war der irrigen Ansicht, seine Krankenkasse habe ihm geschrieben, er müsse fortan Medikamente aus dem Ausland beziehen. Es stellte sich dann heraus, dass es ein kurzer Artikel in der Zeitschrift seiner Krankenkasse war, in dem über Medikamente aus dem Ausland nur berichtet wurde ohne eine Handlungsanweisung zu enthalten. Darüber hat er sich dann wieder beruhigt. Wenig später hat er dann meine Mutter gefragt, wer das denn von der Verwandtschaft sei, der bei ihnen zu Besuch ist. Damit war ich gemeint – sein Sohn. Selber darüber erschrocken, vergewisserte sich Vater über ein Hausarztbuch über Demenzen. Dann aber schien wider eine ganze Zeit lang Ruhe zu herrschen, alles verlief wieder normal.

    Erst im Spätherbst 2006 fing es wieder an. Jetzt meinte Vater, fremde Menschen würden bei ihm in der Garage Dinge verstellen und sein Auto sei ausgetauscht worden. Wenig später meinte er das auch von seinem ganzen Haus. In Gesprächen hatte er zuweilen Wortfindungsprobleme, konnte aber das Gemeinte noch gut umschreiben. Alles in allem aber wirkte er noch überwiegend unauffällig bis auf diese „fixen Ideen“.

    Im April 2007 wurde dann nach einem Besuch bei einem Neurologen mit anschließender Hirn-Tomografie vom Hausarzt die Behandlung mit einem Acetylcholinesterasehemmer begonnen. Diese Mittel bewirkte zwar keine Wunder, veränderte aber das Allgemeinbefinden meines Vaters merklich, so dass seine noch zu Ostern 2007 etwas stille und „muffelige“ Art verschwand und ich im Sommer einen fast wieder wie früher humorvollen Menschen vorfand. Leider blieben die fixen Ideen. Zwar erkannte er sein Auto und sein Haus wieder, hielt das nicht mehr für Dubletten, aber jetzt schlichen angeblich Diebe im Haus umher, die es vor allem auf sein Werkzeug abgesehen hatten. Vater begann jetzt mit sonderbaren Versteckaktionen und vieles, was sich einst in der Garage befand, kam auf den Dachboden. Selbst ein altes Kofferradio – an dem wohl kein Dieb seine Freude hätte – wurde versteckt.

    Im November 2007 – letzten Monat – wurde Vater 80 Jahre alt und ich habe ihm einen neuen Rasierapparat, der in der Handhabung seinem alten entspricht, geschenkt. Machte er schon um seinen alten Rasierapparat, seiner Geldbörse und seiner neuen Brille einen grotesken Sicherheitskult (alles muss abends mit ins Schlafzimmer und mehrmals am Tage wird nachgesehen, ob es noch vorhanden ist), so steigerte sich dieses sonderbare Verhalten mit dem neuen Gerät noch. Zudem wiederholt Vater öfter eine Frage mehrmals hintereinander und wirkt allgemein unruhiger – jedoch nur selten nachts (manchmal steht er auf, weil er meint, zu Arbeit zu müssen). Man muss ihn auch oft mehrmals auffordern zum Essen zu kommen.
    Alles das nervt zusehends meine 78-jährige Mutter und auch ich hatte schon Anwandlungen von Zorn in mir gespürt ob dieser vermeintlichen Sturheit und Begriffsstutzigkeit. Immer und immer wieder muss man sich selber sagen, dass dieses ja nicht absichtlich geschieht sondern Krankheit ist. Jedoch bleibt der langsam entstehende nervliche Schaden so oder so ein Schaden – ob Absicht oder nicht.

    Ich versuche, meine Mutter zu bewegen, dem Hausarzt darüber Mitteilung zu machen und ggf. für Vater ein leichtes Neuroleptikum und für sich selber ein leichtes Tranquilanzium verschreiben zu lassen für Tage, an denen Vater besonders verwirrt ist. Aber meine Mutter hat einfach Angst, wenn beide beim Hausarzt sind, damit anzufangen, weil der alte Herr dann garstig und noch verwirrter reagieren könnte, denn m.E. schwindet bei Vater die Krankheitseinsicht („ist ja alles nicht so schlimm, ich kann doch noch so viel“). Tatsächlich ist Vater körperlich überwiegend noch fit für sein Alter, kommt noch gut mit Gartenarbeit, der täglichen Toilette und andere Routinen zurecht und verfügt auch noch über viele seiner langjährigen handwerklichen Fähigkeiten (hat noch vor kurzem in meinem Beisein einen Heizlüfter fachgerecht repariert). Uns was für mich besonders rätselhaft ist, ist die Tatsache, dass er manchmal noch weiß, was die Nachrichten vor kurzem gebracht haben, usw. Und dann wieder das Vielfachfragen mit ein und derselben Frage. Welch eine seltsame Krankheit! Bei Neorodegeneration erwartet man ja den irreversiblen Verlust der Erinnerungsfähigkeit, aber das dieses zuweilen wieder intakt sein kann, ist schon sehr merkwürdig. Offensichtlich laufen im Gehirn Kompensationsprozesse ab. Vielleicht kann daraus sogar ein neues Therapiekonzept erwachsen, wenn man dem mal näher nachgeht.

    M.E. muss fachkompetente Pflegeunterstützung nicht erst einsetzen, wenn der Kranke sich nicht mehr alleine anziehen kann, usw. sondern bei diesen Krankheiten viel früher, denn es kann ja einer 78-jährigen, selber unter Hüftleiden, Katarakt und Glaukom leidenden Frau nicht zugemutet werden, sich Tag für Tag auch noch fortgesetzt „nerven“ zu lassen. Ich habe mittlerweile schon mehr Mitleid mit meiner Mutter als mit meinem Vater, zumal ich erste kleine Anzeichen einer egozentrischen und rücksichtlosen Wesensveränderung an ihm bemerke. Das könnte bedeuten, dass sich die Krankheit bereits zum OFC „vorgefressen“ hat. Wenn Vater zum „Phineas Gage“ werden sollte, wird eine Heimeinweisung nicht zu umgehen sein. Ich hoffe, dass es niemals dazu kommen wird. Es ist zum Verzweifeln.

    Gruss
    Egon-Martin


  • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


    Hallo EgonMartin,
    Ihre Geschichte könnte mit kleinen Varianten eine "Dublette" der unseren sein...bei meinem Vater wurde im März 2005 Demenz vom Typ der Alzheimer Art diagnostiziert. Die Entwicklung verlief sehr ähnlich Ihrer Schilderung.Auch er besserte sich im ersten Jahr mit dem ACH (Exelon in unserem Fall), fiel im Sommer 2007 aber rapide ab. Ich beobachte bei schlechtem Appetit, Zucker- und Flüssigkeitsmangel massive Verschlechterungen der Orientiertheit.
    Seit 1.Oktober 2007 lebt er in einer Senioreneinrichtung in meiner Nähe. Dies war unvermeidbar, da Vater geschieden ist (meine Eltern sind jetzt beide 82)und ich ebenfalls allein lebe und berufstätig bin.Meine Mutter wäre aber auch außer Stande, dieser Krankheit Stand zu halten.
    Portemonnaie, Brille, Rasierer (früher noch Führerschein und Ausweis)sind auch bei uns die entscheidenden Gegenstände - ständig "gestohlen", ständig versteckt und gesucht! Auch die Dubletten sind mir vertraut Zitat: "Ja, das sieht aus wie meine Wohnung, es ist aber eine andere.Es gibt inzwischen 4 Stück davon...muss ich die alle bezahlen?" Oder: "Von diesen Inges gibt es 8 Stück, die sehen alle gleich aus, haben alle den gleichen Beruf, aber nur die eine ist nett..."
    Auch die Verkennung meiner Person ist mir inzwischen vertraut.Oft bin ich sogar "Sohn", statt Tochter (tatsächlich bin ich Einzelkind!)oder der Bruder Georg...beim ersten Mal ist man tief geschockt, schließlich lernt man damit zu leben.Und dann kommen wieder die Überraschungsmomente, wie bei Ihnen die Reparatur des Heizgerätes...ähnliches kenne ich auch.Melden Sie sich wieder EgonMartin,mich würde es freuen.Gruß, Leona

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    • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


      Hallo Leona,

      vielen Dank für Ihre Zeilen. Sie zeigen mir einmal mehr, dass Krankheitsverläufe keine sonderbaren Einzelfälle sind, sondern fast schon Standard. Aber gerade in diesen vielfach – es gibt immer auch Ausnahmen – sich ähnelnden Abläufen, liegt ja auch große Hoffnung für die medizinische Forschung.

      Was das betreute Wohnen anbelangt, so rate ich meinen Eltern jedes Mal, wenn ich sie besuche – ich wohne an einem entfernten Ort – auch von solch einer Möglichkeit Gebrauch zu machen. Immer wieder versichere ich ihnen, am Erbe nicht interessiert zu sein, so dass sie ihr Haus mit Garten verkaufen sollten, um vom Erlös noch gemeinsam einige (es mögen recht viele sein) schöne Jahre – von netten Fachkräften betreut – im betreuten Wohnen zu verleben. Es werden dort ja auch Ausflüge angeboten, so dass sie nicht von der Welt abgeschnitten wären. Aber mein Reden stößt nur selten auf Zustimmung, was ich angesichts des langen Lebens in Haus und Garten auch gut verstehen kann.

      Ich selber habe mich jetzt vorzeitig pensionieren lassen - auch und vor allem, um öfter nach meinen Eltern schauen zu können. Ein Umzug zu ihrem Wohnort kommt aber derzeit noch nicht für mich in Frage, da mich hier noch Verpflichtungen binden.

      Diese Schocks kenne ich, denn es ist etwas anderes, Demenzen bei entfernteren Verwandten oder Fremden zu beobachten als wenn es den eigenen Vater betrifft. „Mein Vater spinnt!“ – das schockierte mich anfangs sehr. Mein Vater, der Rationalist per excellence, ein sehr logisch denkender Mensch und nun zusehends logischen Argumenten nicht mehr zugänglich? Leider ist es so. Den letzte Funken Einsicht in Sachen Diebstahl durch fremde Leute hatte ich im letzten Sommer nur kurz noch vernommen. „Vielleicht bilde ich mir das alles ja nur ein“, sagte Vater eines Abends im Juli und kam am nächsten Tag doch wieder zu seinen absurden Standpunkten zurück. Nochmals einige Tage später darauf von Mutter und mir gemeinsam auf nicht existente Gestalten, die er meinte, gesehen zu haben, hingewiesen, reagierte er schroff mit einem Abwinken und verzog sich ins Schlafzimmer. Es hatte den Anschein einer schmollenden Verärgerung, ist aber vmtl. mehr als das. Ich vermute, dass hier ein großer Teil Verunsicherung mit hineinspielt und man muss achtgeben, mit nicht zuviel Opposition den Kranken nicht gänzlich verstummen zu lassen. Das hatte ich an meiner Großmutter (mütterlicherseits, die Eltern meines Vaters leben schon lange nicht mehr, waren aber nicht dement) erlebt, die an derselben Krankheit – allerdings erst mit 90 Jahren litt und bald in ein Heim kam. Oma saß manchmal den ganzen Abend still in ihrem Sessel und ich kann mir vorstellen, wie Opa, der zuweilen ein cholerisches Temperament aufwies, sie „bearbeitet“ hatte, um diesen Zustand hervorzurufen. Oma starb mit 93 und Opa mit 96 Jahren – Opa war geistig bis zuletzt fit und ich frage mich, wen ich genetisch mehr beerbt habe. Wenn aber derlei bei mir selber auftreten sollte, so dürfte dass vmtl. erst im hohen Alter geschehen, so dass bis dahin die Chancen auf Heilung oder Abbremsung dieser Krankheit sicher größer sind als derzeit. Ich rechne: Ein Viertel von Oma und eine Hälfte vom Vater. Das sieht nicht gut aus – 75 % ige Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs dieser Krankheit bei mir jenseits meines 70.Lebensjahres. Aber so simpel mag es dann doch nicht sein. Inwieweit man hier mit Mendel und Co argumentieren kann, ist sicher fragwürdig und wäre auch komplexer, als ich es hier angedeutet habe.

      Auch versuche ich, nach Lösungen zur Heilung oder wenigstens Stillstandsmöglichkeiten bei Morbus Alzheimer zu fahnden, was als Laie natürlich ein schier aussichtloses Unterfangen ist. Man grast das Internet ab, bekommt falsche Hoffnungen vermittelt, widersprüchliche Aussagen, usw. Man liest sich in die Neurobiologie ein, sieht und hört Vorlesungen auf DVD und CD in der wahnwitzigen Hoffnung, als „blindes Huhn“ irgendwo ein Korn zu finden. Ich bin bis zur Quantenphysik gegangen und lese derzeit sogar die umstrittenen Thesen eines Chemikers, der Anhänger von Maharishi Yogis seltsamen Ansichten ist (K. Volkamer „Feinstoffliche Erweiterung der Naturwissenschaft“). VOLKAMER behauptet, sonderbare Materiezunahmen bis in den Milligrammbereich belegen zu können, die nach der zeitgenössischen Physik ein eklatanter Verstoß gegen die Energieerhaltung darstellen. Das umgeht er aber durch Aufstellen einer eigenen Great Unified Therorie (alles vereinheitlichenden Theorie). Pathological Physics (es gibt ja viele „Besserwisser“, die ständig die Fakultäten mit Widerlegungen der Relativitätstheorie und ähnlichem „bombardieren“)? Möglicherweise - aber ich habe das über 600 Seiten starke Buch noch nicht durchgelesen. Ich bin ja zu jeder Ketzerei bereit, wenn es nur weiter hilft. Selbst die von ROTH nachvollziehbar verworfenen Thesen von HAMEROF und PENROSE (Bewusstsein basiert auf Quanteneffekte in den Mikrotubuli) werde ich mir vornehmen, obwohl ich weiß, was Dekohärenz bedeutet. Werden nicht durch entartetes Tau-Protein die Mikrotubuli zerstört? Wie soll schon der Friedrich der Große gesagt haben? Verwegen sein – immer verwegen sein.

      Realistischer ist freilich die Erwartung eines tauglichen Impfstoffes. Das Prinzip entspricht einer Methode, die schon im 18.Jahrhundert noch in völliger Unkenntnis von Viren, usw. angewendet wurde zur Immunisierung gegen Pocken. Man trainiert das Immunsystem an „Attrappen“, die dem Feind gleichen. Im Falle der Pocken waren es Kuhpockenviren, die den für den Menschen gefährlichen Pockenviren strukturell dermaßen ähneln, dass das Immunsystem diese erkennt und neutralisiert. Mittlerweile hat man viel Gerät und Erfahrung um eine Vielzahl von Viren erfolgreich bekämpfen zu können. Leider nicht alle, wie man an AIDS sieht, denn es gibt Viren mit einem erstaunlichen Veränderungspotential und wenn diese Viren das Immunsystem wie bei AIDS selber befallen, wird es schon arg brenzlig. Aber es müssen nicht unbedingt Viren sein, die das Immunsystem erkennen kann, d.h. wogegen es sog. Antikörper produziert. Es können auch Eiweißpartikel sein, womit wir bei Morbus Alzheimer wären. Im Prinzip geht man wieder so vor, wie in der Virenbekämpfung. Man bietet dem Immunsystem eine Attrappe an, in diesem Fall ein pseudotoxisches Protein, das in seiner Struktur z.B. dem Beta-Amyloid ähnelt. Das bewirkt, dass gezielt Antikörper gebildet werden können, welche das Amyloid entfernen. Soweit die Theorie. Die Praxis ist weit komplexer, denn man muss ja v.a. sicher sein, nicht mehr zu zerstören als zu heilen. Was passiert z.B., wenn auch lebensnotwendige Stoffe angegriffen werden? Löst man vielleicht gefährliche Autoimmunreaktionen aus? Tierversuche waren allerdings schon vielversprechend – beim Menschen aber scheint es derzeit noch zu große Risiken (z.B. gefährliche Hirnhautentzündungen) zu geben obwohl auch hier durch NITSCH (Uni Zürich) schon Erfolge vorliegen.

      Aber wir dürfen doch Hoffnungen haben, denn jedes Jahr wird mehr erkannt. Zu Zeiten der Demenzerkrankung meiner Großmutter hatte man noch keine marktreifen Acetylcholinesterasehemmer, so dass der Krankheitsverlauf rapide war. Heute gibt es diese Medikamente und mehr. Man kann damit immerhin lindern und verzögern, d.h. Zeit gewinnen. Zeit – vielleicht auch für den großen Durchbruch nicht nur in der Behandlung sondern auch in der Heilung.

      Gruss
      Egon-Martin

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      • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


        In diesem Fortsetzungsbeitrag (Folgethread) berichte ich über den Verlauf der Alzheimer Demenz bei meinem Vater.

        Über die Weihnachtstage habe ich meine Eltern besucht und erlebte bei meiner Ankunft (am 22.12.07) eine Überraschung. Vater war in ausgezeichneter Stimmung, berichtete von einer kleinen Fahrradtour, die er am Vortrag in der Kleinstadt gemacht hatte. Er beschrieb dermaßen gut, wo er war, dass ich erst mal nachdenken musste, denn mir war dieser Bereich der Stadt nicht mehr ganz geläufig. Die Unterhaltung verlief bis in die späten Abendstunden normal. Am nächsten Tag hielt dieser nahezu gesunde Zustand bis zum Abend an. Dann kramte er auf einmal in seinen Fahrzeugpapieren herum und fand seine Versicherungskarte nicht in der Brieftasche. Er meinte, irgendjemand würde ihm schon seit längerem üble Streiche spielen und hätte die Katze gestohlen. Mutter sagte dann, dass er mal seine Geldbörse zeigen solle. Darin fand sich dann die besagte Karte. Statt aber darüber jetzt erfreut zu sein, wurde Vater etwas mürrisch, ging zur Garderobe und nahm sein Mütze. Auf meine Frage, wo er denn hin wolle, sagte er nur, er könne doch seine Mütze aufsetzen, wann es ihm passt. Er setze sie aber nicht auf sondern ging ins Wohnzimmer und erzählte mir wieder von den Dieben, die eine Großteil seines Werkzeuges gestohlen hätten und auch schon versucht hätten, im Schlafzimmer – wo er seit einiger Zeit seine beiden Rasierapparate aufbewahrt – einzudringen. Auf meine Frage, ob denn der neue Apparat, den ich ihm am 20.11.07 zum Geburtstag geschenkt hatte, noch vorhanden sei, antwortete er, der Apparat werde jeden Tag abgeholt und gereinigt. Dann folgte eine Diskussion über Verlegen und Diebstahl, während der ich den Fehler machte, zu sehr auf das Verlegen zu bestehen und vor Beschuldigungen zu warnen. Das hatte dann zur Folge, dass Vater eine ganze Zeit lang stumm mit mürrischem Gesicht und verschränkten Armen dasaß. Nach einiger Zeit taute er wider auf und meinte, dass er jetzt los müsse. Auf die Frage meiner Mutter nach dem Wohin, antwortete er, „ins Bett“ und dass er noch eine Weile dahin laufen müsse. Es gelang aber durch den Hinweis, das Schlafzimmer befinde sich doch im ersten Stock desselben Hauses, das zu klären. Am Heiligabend ging dann wieder alles nahezu normal zu – abgesehen von den kleinen Vergesslichkeiten, an die man sich schon gewöhnt hat. Spät abends meinte Vater dann, mit der Zentralheizung stimme was nicht und es werden heimlich Gas abgezapft. Mit dem Hinweis, die Anklage demnächst mal von eine Fachmann durchchecken zu lassen – das Gerät arbeitet wirklich nicht mehr ganz einwandfrei – war das dann erledigt. Am ersten Weihnachtstag kam ausgerechnet zur Mittagszeit eine Tante zu Besuch und brachte den gewohnten Rhythmus durcheinander. Das wirkte sich auf Vater negativ aus, so dass schon am späten Nachmittag unsinniges Reden auftrat und eine leichte Aggressivität. Am nächsten tag aber war das alles wieder wie weggeblasen. Ich unterhielt mich am späten Vormittag mit Vater über seine Ausbildungszeit zum Flugzeugbauer und wir sprachen über JU 52, Stukas, Messerschmidts und Heinkels. Vater erinnerte sich noch gut an seine Zeit als Segelflieger und dass durch den Krieg und den Zusammenbruch er seinen alten Traum, Flugkapitän zu werden, nie hat verwirklichen können.

        Auf das Gespräch mit der Fliegerei habe ich Vater absichtlich gelenkt. Ich hatte wegen des kleinen Schocks, den ich wieder einmal nach dem „Absturz“ seiner Stimmung erlebt hatte (nach diesem überraschenden „Lichtblick“), darüber nachgedacht, wann und wie es mit dem unsinnigen Verdacht der Werkzeugstehlerei angefangen hatte. Es war die alte Bohrmaschine, die er früher immer liebevoll seine „alte Tante JU“ nannte, die zuerst abhanden kam (vmtl. hat er sie selber fortgeworfen und durch neues Gerät ersetzt, als er noch gesund war). Aus diesem Begriff heraus habe ich versucht, eine Assoziationskette zu seiner ganz frühen Tätigkeit zu analysieren. Tatsächlich kam es in den nächsten Tagen nicht mehr zu den üblichen Beschuldigungen. Allerdings irritieren ihn die langen Abenden und er will immer schon früh zu Bett und manchmal meint er auch, wir müssen jetzt nach Hause. Das hält aber immer nur kurz an. Allerdings gibt Mutter häufig nach und geht mit Vater auch relativ früh zu Bett (ca. 21h00), was sei zuweilen etwas ärgert, weil sei auch mal einen Film im TV sehen möchte, der später läuft.

        Was ich getan hatte, nennt man Validation. Ich hatte mir eine CD und ein Buch von Naomi Feil besorgt. um mich darüber zu informieren. Das ist ein wenig wie simple Psychoanalyse indem es die noch intakten Erinnerungen nutzt, um dem Kranken Initiative zu ermöglichen, selbstständig zu erzählen und so unter Umständen auch auf mögliche Ursachen alter nicht verarbeiteter Dingen zu kommen. Es wird nicht heilen, kann aber m.E. eine Zeitlang begleitend eingesetzt werden, um Symptome zu mildern.

        Ich bin jetzt wieder in meinem Haus, werde aber in wenigen Wochen wieder zu meinen Eltern fahren. Zwischenzeitlich werde ich versuchen, Vater über das Telefon weiter zu validieren. Meiner Mutter habe ich erst mal eingeschärft, „Warum-Fragen“ nicht mehr zu stellen und Vater auf keinen Fall wie ein kleines Kind zu behandeln (diese Fehler wurden bereist öfter gemacht), denn das zwingt Vater, Erklärungen zu bringen, die er nicht bringen kann, was dann zu Frustrationen führt, die dann in mürrischem Verhalten, usw. münden.

        Wir müssen uns m.E. darüber im Klaren werden, dass wir es bei dementen Menschen NICHT mit Psychotikern zu tun haben (es sei denn, es gibt entsprechende Krankenvorgeschichten), auch wenn zuweilen paranoiaähnliche Symptome auftauchen, die im Notfall auch mit Neuroleptika zu behandeln sind. Zunächst sollte man aber immer, durch Validation oder ähnlichen Gesprächstherapien, versuchen zu helfen. Es ist m.E. ein tragischer Irrtum, hier alleinig einem materialistischen Reduktionismus zu huldigen – so wichtig dieser auch ist. Der Demenzkranke ist und bleibt bis zum Schluss eine bewusste Persönlichkeit, kann sich oft rudimentär noch fast bis zuletzt auf seine Weise mitteilen. Diese „seine Weise“ müssen wir lernen. Wir müssen uns dem Kranken anpassen – er kann sich uns nicht mehr anpassen (wer sind wir denn eigentlich, dass wir das überhaupt verlangen?). Ich gehe jetzt in leichter Anlehnung an R.D. Laing (der sogar in Psychosen oft mehr besondere Lebensstile sah statt Krankheiten) sogar so weit, dem Dementen eine gewisse Emanzipation zuzugestehen. Was ist denn „normal“? Dass sich Selbstmordattentäter mit ihren Opfern töten? Dass Eltern ihre Kinder verhungern lassen? Dass Politiker und Wirtschaftsbosse immer das Wirtschaftswachstum anbeten und dabei den Planeten ruinieren? Man könnte hierzu noch vieles schreiben, aber Nachrichten in den Medien teilen uns das ja täglich auch mit. Normalität ist eine Fiktion, eine Nur-Angepasstheit an bestehende Verhältnisse, die selber zutiefst krank sind.

        Gruss
        Egon-Martin

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        • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


          Da habe ich ja offenbar, ohne es zu wissen, bei meinem eigenen Vater auch so etwas wie "Validation" betrieben.
          Jedes Mal, wenn ich ihn besuche, krame ich seine alten Fotoalben hervor und betrachte mit ihm die teilweise uralten Bilder.
          Es verblüfft mich immer wieder, wie viele seiner Erinnerungen dadurch wieder nach oben gespült werden.
          Er ist zwar immer ganz erstaunt über die Alben, behauptet jedes Mal, diese vorher noch nie gesehen zu haben, aber, wenn er dann erst mal die Bilder betrachtet, fängt er an zu erzählen.
          Zwar bringt er mittlerweile so einiges durcheinander, hat oft vergessen, dass etliche der abgebildeten Personen bereits tot sind, aber er weiß oft noch genau, um wen es sich handelt und in welcher Situation das jeweilige Foto gemacht wurde.

          Einen schönen Jahreswechsel wünscht E. aus Berlin

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          • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


            Hallo E. aus Berlin,

            wichtig ist auch, für Erfolgserlebnisse bei dem Kranken zu sorgen, z.B. Lob für die Erinnerung an eine Zeit, die wir selber nicht erlebt haben. Der Kranke sollte sich hier ruhig als eine Art von Geschichtslehrer fühlen. Demenzkranke empfinden m.E. weit mehr als wir ihnen zutrauen. Man muss sie ernst nehmen und ihnen so lange wie möglich die Würde bewahren. D.h., die bei diesen Krankheiten (es gibt ja viele Demenzarten) auftretenden Fehlleistungen mit Erfolgen auf anderen Gebieten kompensieren, so lange das möglich ist. Ich bin erst dabei, das alles zu lernen, war zunächst fast nur naturwissenschaftlich orientiert.

            Mein Vater hat in einem Gespräch zum erstenmal zugegeben, das er Angst vor dem Tod hat. Viele uns bizarr erscheinende Verhaltensweisen sind m.E. nichts anders, als diese Angst zu bewältigen. Ich versuche ganz vorsichtig, etwas aus dem ZEN-Buddhismus zu nehmen, das Hier und Jetzt als wesentlich zu sehen. Das geht vmtl. auch mit der Bibel, wo es heißt, sich nicht um den nächsten Tag zu sorgen. Trost spendet auch Dietrich Bonhoeffer

            "Von guten Mächten treu und still umgeben,
            behütet und getröstet wunderbar,
            so will ich diese Tage mit euch leben
            und mit euch gehen in ein neues Jahr..."

            In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, verehrte E. sowie Dr. Spruth und allen ForumsschreiberInnen und LeserInnen ein gesegnetes und gutes neues Jahr 2008, das in ca. 11 Stunden beginnt!

            Wir bleiben alle in Kontakt - niemand ist wirklich allein.

            Gruss
            Egon-Martin

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            • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


              Zur Zeitdesorientierung, die sich langsam bei Vater ausbreitet, ist jetzt eine zeitweilige Raumdesorientierung im eigenen Haus (!) dazugekommen. Das teilte mir Mutter soeben am Telefon mit. Zur Zeit geht es aber wieder und Vater hat sogar ganz ordentlich den Tannenbaum abgebaut und Staub gesaugt. Am Telefon war Vater humorvoll und hatte kaum Wortfindungsstörungen, gab dann aber schnell an Mutter zurück. Nach wie vor irritieren mich diese scheinbaren Regenerierungen, die leider nie lange anhalten. Ein linearer und kontinuierlicher Niedergang von Neuronen findet offensichtlich nicht statt. Immer wieder scheint sich der Körper selber zu helfen, was ihm aber nur zeitweise und mit leider abnehmender Tendenz geklingt. Neulich hat ein Freund mir in einer eMail mitgeteilt, dass Alzheimer eine im Grunde rätselhafte Krankheit sei (sein Bruder ist Arzt).

              Bis zur nächsten Meldung in diesem Blog-haften Thread, den ich versuche, kontinuierlich fortzuschreiben.

              Egon-Martin

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              • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                Hallo, bei meinen Vater ist es genauso. Ich glaube bei ihm fing es schon vor zehn Jahre an. er veränderte sich, vergaß viel und vor allen er verdächtigte viele Leute des Diebstahls. I ntzwischen hat er fast kein Kurtzzeitgedächtnis mehr, vergisst alles, ind wandelt nachts umher verstellt alles und tagsüber weiß er von nichts mehr.Vom Arzt will er überhaupt nichts wissen.Meine Mutter ist 78 Jahre, hat Parkinson auch schon seit 10 Jahre. Ist vor kurzen gestürzt und ist ein Pflegefall.Sie kommt jetzt von der Reha heim. Ich mache mir Sorgen ob sie es mit Vater aushalt.Weil mein Vater manchmal agressiv ist, bezeichnet er sie als faul, weil sie nicht laufen kann. Ich habe mit dem Arbeiten aufgehört, weil ich Mutter helfen will.Grüße Angelika

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                • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                  Hallo Angelika,

                  da scheint es gewisse Parallelen zu geben. Das liegt vmtl. in der Natur der Krankheit, die in gewisser Beziehung „standardisiert“ verläuft. Ich habe meiner Mutter empfohlen, beim nächsten Arztbesuch auch für sich ein leichtes Beruhigungsmittel verordnen zu lassen. Die Aggressivität meines Vaters hält sich Gott sei Dank noch in Grenzen, ist aber erkennbar. So macht er manchmal eine abwertende Handbewegung und stößt ganz im Gegensatz zu seinem früheren Benehmen ein eher volkstümliches Wort für Stoffwechselendprodukte aus, um dann schmollend in ein anderes Zimmer zu verschwinden. Meine Mutter und ich machten (und machen zum Teil noch) auch zu viele Fehler, die ein solches Verhalten möglicherweise provozieren. Diese Fehler bestehen v.a. darin, den Kranken immer wieder mit einer Realität zu konfrontieren, die er nicht mehr begreifen kann. Oder man ist überfürsorglich, behandelt den Kranken wie ein Kind. Alles das wirkt demütigend auf den Kranken, der sich sehr wohl noch seiner Würde lange Zeit bewusst ist und diese zu verteidigen sucht. Dazu kommt eine Todesahnung: Die ihm bekannte Welt geht langsam für ihn unter, die Orientierungspunkte brechen nach und nach weg. Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Tages in einem fremden Zimmer auf, es begegnen Ihnen Menschen, die sie nie zuvor gesehen haben und die Sprache und Schrift, der Sie dort begegnen, ist Ihnen auch fremd. So ähnlich dürfte sich ein Demenzkranker nach eine Zeit fühlen. Da bekommt es jeder mit der Angst zu tun und Angst führt oft zu aggressivem Verhalten oder Flucht.

                  Vom Arzt will Ihr Vater vmtl. nichts wissen, weil er tief in sich ahnt, was mit ihm los ist und er die Diagnose fürchtet. Für Ihren Vater ist Demenz vmtl. ein sehr negativer Begriff, den er mit „Verblödung“ oder "Verkalkung" verbindet. Keiner möchte für sich und andere als „blöde“ gelten. Vielleicht hilft es, wenn Sie Ihrem Vater schonend und geschickt erzählen, dass Leute wie Ronald Reagan, Helmut Schön, Herbert Wehner, Charlton Heston („Ben Hur“), Helmut Zacharias und vmtl. auch der große Philosoph Immanuel Kant im Alter an Demenz litten. Auch kann es ratsam sein, darauf hinzuweisen, dass Demenz eine inzwischen weit verbreitete Krankheit ist, wie unlängst sogar in der Illustrierte „STERN“ zu lesen war. Viele meiner ehem. Kollegen haben solch einen Fall in ihrer Familie. Anders gesagt – verzeihen Sie mir bitte diese Ausdrucksweise – Demenz wird mehr und mehr „gesellschaftsfähig“.

                  Den Vorwurf der Faulheit, den Ihr Vater gegen Ihre Mutter äußert, ist vmtl. eine Projektion. D.h., er ärgert oder ängstigt sich um seine eigenen Defizite und beschimpft diese in der Gestalt Ihrer Mutter. Projektionen kann man m.E. nur „knacken“, indem man den Menschen behutsam hilft, seine eigene Lage zu erkennen, was freilich bei Demenz besonders schwierig ist, da man nicht mehr von Lernfähigkeiten ausgehen darf. Wir haben hier m.E. außer Gott und den Ärzten nur einen Verbündeten: Die Vergangenheit. Demente Menschen verfügen noch lange Zeit über intakte Erinnerungen an ihre Vergangenheit. Also kann man versuchen, über biographische Daten das Problem zu lindern – gänzlich lösen wird man es nicht. Über biographische Daten des Kranken versuchen, das Selbstwertgefühl anzuheben, wäre z.B. eine Möglichkeit, den Patienten wieder etwas souveräner zu machen, so dass er von der Nörgelei wegkommt im Bewusstsein, in seinem langen Leben doch einiges Wichtiges geleistet zu haben ohne dem manches nicht ginge.

                  Naomi Feil hat in zig Jahren gute Erfahrungen gemacht mit einer Technik, die sie Validation nennt. Ich kann nur empfehlen, es damit einmal zu versuchen. Einfach mal bei einem Internet Buchvertrieb oder vorab schon mal bei Goggle nach dem Begriff „Validation“ oder „Naomi Feil“ suchen. Dann erfahren Sie schon einiges. Mehr kann ich z.Z. leider auch nicht anbieten, da auch ich erst am Anfang stehe und zulange nur auf die Neurobiologie geschaut habe – was natürlich auch sinnvoll ist (z.B. wachsam gegenüber evtl. neuen Therapien zu sein und auch auf Scharlanterie zu achten). Es gibt ja auch gute Seiten über Alzheimerinitativen, denen man wichtige Tipps entnehmen kann. Schauen Sie doch bitte auch mal, ob es in Ihrem Ort eine Demenz-Angehörigengruppe gibt mit Leuten, die schon viel erfahrener sind als ich es z.Z. bin.

                  Ich werde natürlich – so es mir die Zeit erlaubt – weiter hier berichten.

                  Liebe Grüße
                  Egon-Martin

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                  • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                    Hallo EgonMartin,


                    dein Bericht war für mich quasi wie ein Deja vu. Ähnliches habe und erlebe ich immer noch ebenfalls mit meinem Vater. Leider hat sich sein geistiger Zustand unheimlich schnell verschlechtert. Das heißt vom gelegentlich mal etwas verlegen bis zum sich nicht an sein eigenes Haus erinnern verging sehr wenig Zeit. Leider hat mein Vater auch ein unheimliches Misstrauen gegenüber allen anderen Menschen entwickelt. Egal ob mir gegenüber, oder seiner Frau, oder den Nachbarn, oder seinen Freunden. In seinen Augen möchten ihm alle etwas Böses. Am schlimmsten ist natürlich seine Familie, die ihn unbedingt in ein Heim einweisen lassen will, obwohl er ja nicht verrückt sei, dass sagt er immer. Schlimm sind auch die Dinge, die er inzwischen meint zu sehen, vorallem fremde Menschen, die ihm seine Besitztümer stehlen wollen. Früher habe ich immer noch den Fehler gemacht, zu versuchen ihm seinen Irrtum klar zu machen. Das hatte aber immer zur Folge, dass er recht ungestüm und aggressiv wurde. Seit ich dazu übergegangen bin, ihm einfach mal Recht zu geben, klappt es meist besser. Aber manchmal geht auch das nicht. Er hat meine Mutter schon öfter des Diebstahl beschuldigt und dann ich nicht einfach klein beigeben, und ihm zustimmen. Wo würde denn da meine Mutter bleiben, schließlich leidet ja auch sie extrem unter der schwierigen Situation. Allzu lange wird mein Vater wohl auch nicht mehr zuhause leben bleiben können, dass wäre für meine Mutter nicht tragbar. Zwar geht es meinem Vater momentan relativ gut, da er nochmal von den Medikamenten umgestellt wurde, und das Reminyl, das er jetzt bekommt deutlich besser anschlägt, als Exelon, das er vorher bekommen hat. Trotzdem werden wir über kurz oder lang über ein Pflegeheim nachdenken müssen. Davor graut es mit schon extrem. Immerhin ist das ja die größte Sorge meines Vaters in ein Heim zu müssen. Das ist schon alles ganz schön schwierig und verlangt ja allen beteiligten einiges ab, und es macht es vorallem schwierig auch die kleinen Lichtblicke nicht einfach zu übersehen. Aus diesen sollte man möglichst seine Kraft schöpfen.

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                    • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                      Hallo Monty,
                      in Ihrem Beitrag lese ich, dass Ihr Vater von Exelon auf Reminyl umgestellt wurde. Ich erwäge diesen Wechsel bei meinem Vater schon eine Weile, weiß aber nicht genau,wie man vorgeht, wegen der Dosierung. Mein Vater nimmt seit längerer Zeit die Höchstdosis von Exelon, also 2x täglich 6.0. Wie geht man dann auf Reminyl über? Wie steigt man ein? Gibt es bei einer zunächst niedrigen Dosierung keine Rückschläge? Es wäre sehr nett, wenn Sie mir dazu Ihre Erfahrungen und Vorgehensweisen mitteilen könnten. Die Auffälligkeiten,die Sie ansonsten beschreiben - Misstrauen, Verkennung, Beschuldigung der nähsten Angehörigen, eigene Wohnung nicht erkennen usw. sind mir alle vertraut. Die Krankheit hat offenbar einen sehr parallelen Verlauf. Ich hoffe auf Ihre Antwort! Gruß Leona

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                      • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                        Hallo Monty,

                        ich fürchte den Tag, an dem mein Vater vielleicht meine Mutter oder mich des Diebstahls bezichtigen wird, aber ich muss leider auch damit rechnen. Bislang sind die Diebe, die meinem Vater v.a. angeblich Werkzeug stehlen noch anonym. Es sind „Die“, die im Haus herumwandern, auch mal Sachen verstellen oder heimlich mit seinem Auto fahren. Dabei argumentiert mein Vater sogar noch ziemlich rational und „weiß“, dass eine Anzeige nichts nutzen würde, weil er keinen konkreten Verdacht und keine ausreichenden Beweise habe. Leider nutzt es aber gar nichts, an diese Argumentation anzuknüpfen um ihm diese fixe Idee zu nehmen.

                        Natürlich habe ich mir auch schon Gedanken darüber gemacht, ob nicht eines Tages Vater vielleicht sogar meiner Mutter und mir eines Komplotts gegen ihn verdächtigen könnte. Aus diesem Grunde reden Mutter und ich nie lange ohne Vaters Gegenwart zusammen und daher habe ich vorerst auch Abstände zwischen meinen Besuchen bei meinen Eltern gesetzt und telefoniere nie mehr als ein bis zweimal wöchentlich mit ihnen bei gleichzeitiger Dauerbereitschaft. Ich kenne zwar keine psychische Vorbelastung bei meinem Vater, die eine vielleicht latente Psychose via Demenz zum Ausbruch bringen könnte, aber Alzheimer ist dermaßen rätselhaft, dass man mit vielem rechnen muss. Meistens ist es m.E. aber nur psychosenähnlich.

                        Wir kennen ja alle Tage, an denen alles schief läuft und das fühlt sich dann oft so an, als hätte sich die ganze Welt gegen einen verschworen. Auch dürfte wohl jeder das Phänomen der Eifersucht kennen. Solche „miniparanoiden“ Erlebnisse sind uns geläufig. Dem Demenzkranken geht vieles daneben und so mag es sein, dass er seine Tage zuweilen so erlebt, als sei eine Art Verschwörung gegen ihn im Gange. Und wenn er oft Opposition erlebt, weil man immer wieder versucht, seine Fehler zu korrigieren („Aber das stimmt doch nicht, es ist ja so und so ...“, „Wo hast du denn nun schon wieder deine Brille gelassen?“, „Das hast du mir soeben zehnmal hintereinander erzählt.“), dann ist das für ihn verständlicherweise sehr frustrierend, denn er nimmt meistens seine Fehlleistungen nicht als solche wahr. Er muss ja zu dem Schluss kommen, dass alle gegen ihn sind und reagiert dann ungehalten.

                        Hinzu kommt noch die Angst vor dem Identitätsverlust. Man ist lieber noch unausstehlich als das man gar nicht ist. Vorwürfe und Schimpfereien zwingen die Umwelt dazu, sich mit dem Kranken zu beschäftigen und so wird er zum Mittelpunkt. Das aber sagt uns, dass wir uns mehr mit ihm beschäftigen müssen. Die echte Paranoia gehört zum Formenkreis schizophrener Erkrankungen, die allgemein durch starke Störungen des Selbsterleben gekennzeichnet sind. Der Paranoiker – so hat es mir ein Kenner einmal erzählt – fürchtet den Zusammenbruch seines Selbstes oder Ichs während bei anderen Schizophrenien dieser Zusammenbruch bereits erfolgt ist. Verfolgungs- oder Größenwahn dient dann der andauernder Bestätigung des Nochvorhandenseins eines tatsächlich nur noch sehr schwachen Ichs oder Selbst. Der Wille zur Macht setzt Ohnmachtsempfindung voraus. Demenzen und Schizophrenien sind nicht identisch, können aber in bestimmten Fällen einander ähnlich sein. Der Schizophrene leidet im allgemeinen nicht unter einer Degeneration der Neuronenpopulationen. Man vermutet da eher eine Störung des Neurotransmittergeschehens und bereits in den 50iger Jahren hat Humphrey Osmond – er prägte übrigens den damals noch wissenschaftlichen Begriff „Psychedelic“ - im Urin Schizophrener eine Substanz gefunden, die eine erstaunliche molekularstrukturelle Ähnlichkeit mit dem Halluzinogen Mescalin hat, was auf die serotoninergen Bahnen verweisen könnte, da diese Substanzen dem Serotonin ähneln und an den 5HT-Rezeptoren der Neuronen andocken (von denen es mindestens 17 verschiedene gibt).

                        Es hilft alles nichts – wir sind es, die sich dem Demenzkranken anzupassen haben, so weit das geht. Natürlich lassen sich derartige Symptome mit leichten Neuroleptika mildern und mit starken Mitteln ganz zum Verschwinden bringen (allerdings mit zunehmenden Nebenwirkungen). In dem von Dir beschriebenen Fall, liebe oder lieber Monty, würde ich ein leichtes Neuroleptika empfehlen plus Validation. Das zu entscheiden, ist aber Sache des Arztes.

                        Ich wünsche uns allen alles Gute, vor allem eine nicht nachlassende Geduld. Vielleicht benötigen wir ja eines Tages auch eine solche Geduld von anderen, denn Alzheimer ist weiter im Vormarsch.

                        Gruss
                        Egon-Martin

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                        • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                          Lieber Monty,
                          bitte schreiben Sie mir doch nochmal wegend er Umstellung von Exelon auf Reminyl. Die Vorgehensweise/Dosis wäre wichtig. Ich hatte vor ein paar Tagen schon einmal angefragt. Ich würde mich wirklich freuen,wenn Sie antworten.Gruß Leona

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                          • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                            Stand erste Febuarwoche 2008

                            Bin soeben von einem Besuch bei meinen Eltern zurückgekehrt. Es ist folgende Verschlimmerung eingetreten:

                            Ein bis zweimal pro Woche ist Vater in den späten Nachmittags- und Abendstunden völlig desorientiert. Es fängt wie gewöhnlich damit an, dass er drängelt. Gewöhnlich drängelt er auf frühes Zubettgehen noch vor 21 Uhr. Jetzt kommt es gelegentlich vor, dass er sagt, "wir müssen jetzt aufbrechen und nach Hause". Manchmal geht er zuvor zur Garderobe und kommt mit Mütze ins Wohnzimmer. D.h. er erkennt zeitweise nicht das Haus, in dem er seit zig Jahren wohnt. Einmal - so erzählte es mir meine Mutter - sei er pötzlich nach dem Mittagessen verschwunden (davon hatte sie mir - wohl um mich nicht zu beunruhigen - am Telefon nichts gesagt). Zum Glück fand er aber selbstständig zurück und konnte sogar angeben, wo er langgelaufen war.
                            Die abendlich Desorientiertheit ist schlimmer und man muss Vater fast ins Schlafzimmer "bugsieren". Zum Glück wird er nicht aggressiv. Am nächsten Morgen ist er dann wieder fast der Alte - oft voller Humor, wenn auch gelegentlich mit Wortfindungsstörungen, Verwechslungen und was dergleichen - von uns mittlerweile schon als "normal" eingestuften ´- kleinen Defizite mehr sind.

                            Das Reminyl nimmt er morgens und ich hege den leisen Verdacht einer nachlassenden Wirkung am Abend. Ich habe Mutter den Tip gegeben, mit Vater eine Runde um den Block zu machen, wenn er wieder los will, da mir Mutters dauendes "aber du bist doch zuhause" eher kontraproduktiv erscheint. Leider habe ich manchmal den Eindruck, dass auf mich - ich bin ja auch "nur" das Kind - nicht so recht gehört wird.

                            Kommende Woche ist wieder Arzttermin und ich habe Mutter eingeschärft, alles dem Arzt zu sagen auch wenn Vater dabei ist und ärgerlich werden sollte. Sie hat sich einige Notizen gemacht. Vielleicht wird die Medikation umgestellt. Auch habe ich Mutter empfohlen, sich selber eine leichtes Sedativum (vielleicht einen leichten Tranquilizer - nicht Rohypnol oder ähnliche "Hämmer" - als Notanker) verordnen zu lassen. Derzeit habe ich Johanneskrauttee, Lecithin, und andere nicht verschreibungspflichtige Mittel gekauft. Dieser "Nervennahrungstrunk" ohne Alkohol scheint Mutter sogar etwas zu helfen. Zusätzlich noch Vit-B-Komplex besorgt und empfohlen. Und da sind dann des Laien Mittel zuende.

                            Dennoch ist alles in allem der Zustand überwiegend noch stabil.

                            Egon-Martin

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                            • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                              Bin von meinem diesmal etwas längeren Besuch bei meinen Eltern zurückgekehrt.

                              Status: Keine komplette Desorientierung diesmal (im Februar wusste Vater zeitweise abends nicht mehr, wo er war), dafür aber merkliche Verschlechterungen in mehreren anderen Dingen. Stellt Tasse öfter neben Untertasse statt wie sonst darauf; tastet nach Lichtschalter, wo nie einer war; sprach einmal kurz von seinem Sohn als dritte Person zu mir; weist vermehrt Wortfindungsstörungen auf und verhaspelt sich öfter beim Reden; hat keinerlei Krankheitseinsicht bzgl. seiner Demenz mehr und wird sehr ungehalten, wenn man ihn darauf anspricht; hält hartnäckig an seiner Diebstahltheorie fest; man spiele ihm auch üble Streiche; wollte zweimal nach dem Nachmittagstee bzw. dem Abendessen aufbrechen ohne sagen zu können, wohin – aber ohne diese komplette Desorientierung wie im Februar, griff auch nicht zu Hut oder Mantel.

                              Medikation derzeit: Reminyl 16 mg, Aprovel 300 mg, halbe Bisoprolol, Asprin 200 mg, halbe Simvastatin 40 mg, vor dem Schlafengehen Nitrendipin AL10 nebst Tropfen und einer Salbe für seine seit Februar d.J. leicht entzündeten Augen.

                              (Vorgeschichte: Arteriosklerose, zwei Bypässe in den Beinen seit Ende 2005 – nach dieser OP massive Desorientierung, die aber wieder komplett abklang um dann ganz langsam Mitte 2006 wieder zu beginnen. Die Arteriosklerose könnte als systemische Erkrankung an der Demenz beteiligt sein. Der „Black-Out“ noch Tage nach der OP könnte durch das Narkosegas Isofluran ausgelöst worden sein auf der Grundlage bereits bestandener aber noch unauffälliger Neurodegeneration; Vater konnte z.B. schon eine ganze Zeit lang vorher nicht mehr riechen, was er aber auf ungeschicktem Umgang mit Säure beim Hofreinigen zurückführte – dieser Umstand kam mir erst spät in den Sinn)

                              Blutwerte – letzte Erhebung vor 10 Tagen – sind ausgezeichnet, also Beibehaltung der Medikation und des Lebensstils auf Anraten des behandelnden Arztes.

                              Positiv: Bis auf zwei Tage war Vater überwiegend in heiterer Stimmung, zuweilen humorvoll bis zur Blödelei. Dabei entwickelt er manchmal merkwürdige Assoziationen mit Buchstabenumstellungen. So machte er spontan aus dem Wort „Reiseleiter“ das Wort „Leisereiter“ und lachte sich, dieses sogleich bemerkend, fast schief. (Mich erinnerte das an mich selber vor mehr als 30 Jahren bzgl. der Wirkung eines gerauchten Joints.) Die Uhr kann er auch noch lesen, was mir auffiel, als er plötzlich einmal sagte, es sei schon fast vier Uhr (der kleine Zeiger unserer Stubenuhr stand auf vier und der große kurz vor der Zwölf). Da hatte ich zuvor Bedenken und wagte nicht, ihn zu testen, so dass ich froh war, ihn von sich aus plötzlich solch eine korrekte Zeitangabe machen zu hören. Auch kam das Gespräch mal wieder auf die Vergangenheit und erstaunlicherweise war Vaters Redefluss fast einwandfrei, als er von seiner Zeit als jugendlicher Segelflieger erzählte. Bis ins Detail konnte er das Cockpit dieser einfachen Segelflugzeuge von Anfang der 40-iger Jahre erklären, erzählte von Thermik, seinem ersten Alleinflug und sogar von einem lustigen Malheur, das passierte, als ein Flugschüler etwas unvorschriftsmäßig landete und an einer Feldtoilette zum Stehen kam. Konfrontiert man ihn aber mit alten Bildern (spätere vom Ende der 50-iger Jahre mit Mutter, Vater mir und anderen), kann er weder sich noch andere darauf erkennen. Zeitung liest er manchmal – aber nicht immer – leidlich gut, was ich merke, wenn er einen ihm interessanten Artikel vorliest. Allerdings verliest er sich immer mal wieder und kommt zuweilen etwas ins Stocken. Einen kleinen unauffälligen Test habe ich mir schließlich doch noch erlaubt. Ich wollte wissen, wie man zu einem bekannten Gebäude in unserer Kleinstadt kommt, gab vor, das vergessen zu haben. Vater hat es dann ganz gut erklärt – nicht perfekt, aber ausreichend um das Gebäude zu finden. - Übrigens war es meinem Vater klar, dass nicht der Dalai Lama an den Unruhen in Tibet schuld war. Dieser – so sagte er – könne ja nun wirklich nichts dafür und bemühe sich doch um den Frieden. Völlige Klarheit hier – Konfusion bei angeblich verschwundenen Dingen und Kleinigkeiten im Haushalt.

                              Merkwürdig: Diese fixe Idee mit den mysteriösen Dieben hat er schon seit mehr als einem Jahr und wiederholt Schilderungen, sie gesehen und sogar mit ihnen gesprochen zu haben fast detailgetreu genau so, wie im letzten Sommer. An dieser Idee scheint er fest zu halten, denn im letzten Sommer war ja noch Krankheitseinsicht da; aber von einer Verbindung dieser fixen Idee mit seiner Demenz wollte er schon damals nichts wissen. Merkwürdig ist das deshalb, weil es den üblichen Befunden bei AD zu widersprechen scheint, nach denen das Gedächtnis sukzessive im Verkauf der Krankheit nachlässt.

                              Alles in allem habe ich den Eindruck, dass mein Besuch v.a. Mutter etwas entlastete und aufmunterte. Ich konnte sogar erreichen, dass Vater an manchen Abenden nicht schon vor 21 Uhr zu Bett wollte, so dass wir gemeinsam etwas länger reden und einen alten Film ansehen konnten, in denen Lieder vorkamen, die Vater auch gut kannte und zuweilen sogar mitsang. Das freute insbesondere Mutter. Ich werde sehr bald wieder hinfahren, habe schon angefangen mehr und mehr Kleinigkeiten von mir in meinem alten Zimmer zu deponieren. Über Vaters Demenz können Mutter und ich nur reden, wenn Vater nicht im Zimmer ist – das ist ein großes Handicap. Ich setze Mutter dann auseinander, was in Notfällen und zukünftig evtl. zu tun ist, denn es wird ja der Tag kommen, an dem Pfegeunterstützung, Tagespflege und Vollzeitpflege notwendig werden – so kein Wunder geschieht. Auch versuche ich Mutter Ängste zu nehmen für den Fall, dass sie in ein Krankenhaus muss, indem ich immer wieder darauf verweise, keine beruflichen Verpflichtungen mehr zu haben und fast jederzeit kommen kann (für einige Sachen muss ich mir noch was einfallen lassen, Nachsendungsanträge, usw.). Vater würde ja schon jetzt seine Medikamente vergessen oder in falscher Reihenfolge nehmen, wenn Mutter nicht immer alles in kleinen Tagesschubern bereitstellt. Auch legt sie ihm jeden Morgen die Wäsche hin. Alles andere kann Vater zum Glück noch alleine, hilft auch im Haushalt – lässt sich manchmal aber auch wie ein Pascha bedienen, was er früher nicht tat.

                              Soweit mein Bericht für diesmal.

                              Liebe Grüße an die Leser
                              Egon-Martin

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                              • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                                Hallo EgonMartin,
                                willkommen zurück!
                                Alles in allem liest sich Ihre Schilderung doch recht positiv und gibt Anlass zur Hoffnung. Jeder Fall verläuft anders - manche schreiten nur sehr langsam voran, besonders wenn Unterstützung und Versorgung optimal sind.In vielen Kleinigkeiten fühle ich mich immer wieder an meinen Vater erinnert, der sich leider im Pflegeheim sehr verschlechtert hat. Mir steht am 8.4. eine harte Auseinandersetzung mit dem Geschäftsführer BRD und dem Heimleiter bevor. Möglicherweise habe ich mich in meinen Anschuldigungen zu weit aus dem Fenster gelehnt - wenngleich ich meine,die Wahrheit zu sagen (siehe mein Thread zu Pflegeheimen), aber es ist schwer,Missstände konkret zu beweisen (z.B. die nicht erlaubte Gabe von Neuroleptika). Es steht Aussage gegen Aussage und ich habe meine Heimatgemeinde auf die Missstände aufmerksam gemacht, da auch hier bei uns ein neues Heim geplant ist und sich der genannte Träger beworben hat...Mein Schreiben hat schnell die Runde gemacht und nun habe ich den Träger an der Backe. Ich komme mir vor, wie David gegen Goliath.Denken Sie an mich am 8.April! Gruß Leona

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                                • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                                  Hallo Leona,

                                  David gegen Goliath ist doch ganz wunderbar - damals hatte der Legende nach nämlich der kleine David gewonnen. Gleiches wünsche ich Ihnen auch. Ich würde auch mal in Richtung Antidiskriminierungsgesetz schauen - das soll ja auch die Alten und Behinderten schützen. Nicht erlaubte Medikationen sollten sich auch nachweisen lassen und könnten strafrechtlich relevant sein. Ich werde mir Ihren Thread - er ist ja noch angewachsen - mal in Ruhe durchlesen und dann ggf. dort noch was schreiben.

                                  Gruss
                                  Egon-Martin

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                                  • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                                    Soeben mit meinen Eltern telefoniert, zuerst mit Mutter, dann mit Vater. Nach etwas Smalltalk mit Vater, in denen leichte Stockungen vorkamen, meinte dieser dann, dass sie nach dem Teetrinken wieder zu ihrem Haus zurückfahren würden; sie seien derzeit woanders. Das Haus sei nicht ihr Haus. Dann sagte er, Mutter würde mir das erklären und gab den Hörer wieder zurück zu Mutter. Diese sagte nur, es sei ihr Haus und sonst sei nichts. Ansonsten überwiegend normaler Eindruck, Vater erkennt mich immer noch auch am Telefon, begrüßte mich mit meinem Vornamen und redet in seinem typischen Sprachstil.

                                    Mit anderer Worten: Die reduplikative Paramensie scheint wieder aufzutreten. Diese Vorstellung eines verdoppelten Hauses trat bei Vater zum erstenmal im Januar 2007 auf, verschwand dann aber einige Zeit später wieder vollständig – ungefähr um die Zeit, an der Vater anfing, Reminyl (anfangs 8 mg, jetzt 16 mg) zu nehmen (April 2007).

                                    Soweit diese kurze Info.

                                    Gruss
                                    Egon-Martin

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                                    • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                                      Aktuelles zur Lage daheim:

                                      (Ich versuche, diesem Folgethread ein etwas „semiprofessionelles Gepräge“ zu geben und beginne mit Stichworten, die ich nachfolgend z.T. prosaisch erklären werden. Es geht nach wie vor um meinen 80-jährigen Vater, der von meiner nunmehr 79-jährigen Mutter und wochenweise auch von mir begleitet wird. Ich verwende z.T. Schulnoten, die aber keine Leistungsbewertung im schulischen Sinne darstellen sollen, sondern nur den Status aus meiner Laiensicht angeben: sehr gut bis ausreichend entspricht einem noch guten bis halbwegs gesunden Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Verhalten.)

                                      Gesamteindruck: verschlechtert und auch nach außen hin auffälliger: ausreichend bis mangelhaft

                                      Aphasie: Wortfindungsstörungen haben weiterhin zugenommen (ausreichend bis mangelhaft), bei Verwendung der plattdeutschen Sprache oder bei gesungenen Liedern aber noch befriedigend bis ausreichend (die Krankheit hat sich in den Broca-Wernecke-Arealen merklich ausgebreitet)

                                      Apraxie: gering, zieht ab und an Pullover falsch herum an: ausreichend (Motorcortex intakt)

                                      Agnosie: selten auftretend in Bezug auf Mutter und mir, häufiger bei Verwandte oder Bekannte, die Vater längere Zeit nicht gesehen hat: ausreichend bis mangelhaft (Defizite in Okzipital- und Temporalbereichen)

                                      Wahrnehmungsstörungen, Illusionen, Halluzinationen: Vater sieht öfter, aus dem Fenster schauend in ca. 30 m Entfernung Gestalten hinten in der Sitzecke im Garten neben der Garage, obwohl dort nur ein Tisch, Gartenstühle, usw. stehen: ausreichend bis mangelhaft (Defizite in Okzipital- und Temporalbereichen)

                                      Reduplikative Paramnesie: zeitweise auftretend in Bezug auf sein Haus, derzeit nach neuerlichem kurzem Aufflackern wieder verschwunden, arbeitet derzeit bewusst in seinem Garten seines Hauses: ausreichend

                                      Capgras: nicht vorhanden, erkennt entweder gar nicht (selten) oder komplett Mutter und mich: befriedigend

                                      Psychotische Störungen: paranoid in Bezug auf fiktive Diebe und anonyme Leute, die ihm Streiche spielen, noch erträglich: ausreichend bis mangelhaft (vmtl. dopaminerges System gestört)

                                      Aggressivität: selten etwas verbal: befriedigend (u.a. Hypothalamus mit Nukleus präopticus medialis vmtl. noch intakt und normalfunktionierend)

                                      Depressionen: manchmal etwa still in sich gekehrt, öfter aber humorvoll: befriedigend (serotoninerges System vmtl. noch intakt)

                                      Ängste: Vmtl. verwoben mit den paranoiden Gedanken und den Wahrnehmungsstörungen: ausreichend bis mangelhaft (komplexe Interaktionen zwischen Amygdala und dem für bestimmte Demenzen charakteristischen hippocampal-septischen Defiziten)

                                      Eigen- und Fremdgefährdung: Würde seine Medikamente (darunter aber keine, die zwingend alle paar Stunden genommen werden müssten) vergessen, wenn Mutter sie ihm nicht zu den richtigen Zeiten hinlegen täte, keine Gefährdung anderer: mangelhaft (Defizite durch Neurodegeneration v.a. in den Hippocampi, charakteristische Defizite im Nukleus basalis Meynert, acteylcholinerges System defekt)

                                      Medikation: unverändert

                                      Physisches Allgemeinbefinden: gut (Organschutz v.a. durch Cholesterin- und Blutdrucksenker)

                                      Inkontinenz: keine: gut (basale Funktionen intakt)

                                      Nächtliches Umherwandern: keines: gut (Tages-Nacht-Rhythmus noch intakt)

                                      Hygiene: Toilette und Wäsche sauber: gut

                                      Nähere (prosaische) Erklärungen gemäß aktueller Erlebnisse:

                                      Nach meiner Ankunft war wie gewohnt die Stimmung gut. Ich bin offensichtlich immer wieder eine neue „Bewegung“ im etwas monoton gewordenen Alltag meiner Eltern, was sich v.a. auf Vater zunächst positiv auswirkte. In den Folgetagen wollte ich v.a. Vater im Garten helfen, was dieser aber nach kurzer Zeit schon nicht mehr so gut fand. So stellte er mir schon bald nach einigen Tagen abends die Frage, wann ich denn zurück nach Bremen fahren würde. Als ich darauf antworte, gerade erst gekommen zu sein und noch einige Tage zu bleiben gedenke, überraschte mich Vater mit einem „Schade“. Auf die Rückfrage meiner Mutter, was das denn zu bedeuten habe, meinte Vater, er könne sich dann ja wieder freier bewegen. Das versetzte meinem Herzen einen kurzen Stich, denn ich komme doch, um zu helfen, verzichte auf z.T. wichtige Dinge in Bremen deswegen. Auch wenn man um die krankheitsbedingten Fehlleistungen weiß, ist man doch nicht ganz immun gegen Verletzungen, zumal es sich ja um den eigenen Vater handelt. Ich war offensichtlich in meiner Hilfe zu weit gegangen, hatte mich unwissentlich wohl einengend verhalten. Folglich zog ich mich etwas zurück und besorgte hauptsächlich den Einkauf für Mutter nebst Hilfen im Haus.
                                      Angesichts des alten klapprigen elektrischen Rasenmähers, den „natürlich“ irgendwelche „Spitzbuben“ verhunzt haben, beschloss ich, Vater ein neues Gerät mit gleicher Schaltung zu kaufen. Als ich ihm dann den von mir fertig montierten und einsatzbereiten neuen Rasenmäher präsentierte, reagierte Vater kaum dankbar und meinte nur, der sei ja wie der alte. Die Neuheit hat er aber dann doch akzeptiert. Er bekam dann noch einen neuen Rasentrimmer und eine neue Gartenschere sowie ein neues Verlängerungskabel nebst eineigen Kleinigkeiten, so dass er mit einer Menge neuer – aber in den Funktionen bekannten – Dingen seine geliebte Gartenarbeit machen kann.

                                      Alles in allem bekommt die Gartenarbeit Vater gut – der lange Sonnenschein und die frische Luft (es gibt hier neuerlich ja einen Thread „Sauerstofftherapie“, der mir dabei einfällt und zu dem ich schon etwas geschrieben habe) sorgen vmtl. dafür, dass er abends länger aufbleibt. In der ganzen Zeit ist er nicht einmal auf die sonst häufige Idee gekommen, „nach Hause zu wollen“ – wie sie im Winter spät nachmittags oder abends gelegentlich auftrat. Sehr positiv überrascht war ich, als er spontan mittags sagte, es sei schon 20 nach 12 Uhr. Er hatte die Wanduhr exakt abgelesen. Derlei geschah noch zweimal und nur eine viertes Mal lag er um eine Stunde daneben, nicht jedoch bei den Minuten. Er trägt ja kaum noch eine Armbanduhr und es ist bekannt, dass Demenzkranke schon relativ früh mit den Winkeln der Zeiger durcheinanderkommen, so dass ich die exakte Uhrzeiterkennung bei Vater schon abgeschrieben hatte. Wir verlebten einige gute Tage und Abende und auch Mutters 79.Geburtstag verlief im Kreise der noch wenigen verbliebenen Angehörigen harmonisch. An Mutters Geburtstag waren wir mittags Essen gewesen und Vater machte einen guten Eindruck abgesehen von gelegentlichen Wortfindungsstörungen.

                                      Als Vater einmal seine Rohrzange, mit der er kurz vorher noch die Gartenmöbel installiert hatte, vermisste, kam das Thema wieder auf die Diebe. Eine Suchaktion durch Mutter und mir, während Vater in der Veranda war, brachte die Zange wieder hervor (sie lag weit hinten in einer Küchenschublade), die ich dann Vater brachte. Daraufhin kam Vater kurz ins Grübeln (er muss wohl gemerkt haben, dass seine Verdächtigungen mal wieder auf höchst tönernen Füßen standen), setze sich und sprach eine Zeitlang wenig, was sich dann aber wieder verflüchtigte. Ich habe dann versucht, ihm eine Art Kompromiss anzubieten: Nur ein Teil wurde gestohlen, manches wurde nur verlegt. Er machte kein besonders glückliches Gesicht bei meinem Vorschlag.

                                      Dann kam etwas Neues zum Vorschein: Vater „sah“, aus dem Wohnzimmer blickend, Gestalten hinten im Garten bei den Gartenmöbeln vor dem hohen Gartentor, welches meist verschlossen ist. „Da steht doch jemand. Ich sehe Kopf und Beine.“ Der Kopf stellte sich als eine Pflanze in einem Blumenkasten heraus und die Beine waren zwei kleine Blumenkübel, die Vater zuvor hinter dem Gartentisch gestellt hatte. Mit viel Phantasie und ohne Brille kann man daraus durchaus eine Figur konstruieren. Dieses Thema ließ in dann nicht mehr los. Immer häufiger reckte er, am Esstisch im Wohnzimmer sitzend, seinen Hals und starrte in Richtung Gartentor und immer häufiger sah er dort Männer, Frauen und sogar einmal einen kleinen Wagen. Das konnte ich auch mittels großer Phantasie nicht mehr nachvollziehen. Zwar sieht man durch einen Spalt zwischen Tür und Zaun manchmal leichte Bewegungen von Passanten, die vom einem nahegelegenen Parkplatz kommend, am Gartentor vorbeigingen, aber ob das ausreicht, ganze Szenerien daraus zu „gestalten“, mag fragwürdig sein. Ganz neu ist derlei aber auch nicht, denn er sah im Sommer letzten Jahres schon mal Gestalten im Gang neben unserem Haus laufen. Damals kam es zu einem kleinen Streit, weil Mutter und ich darauf noch völlig falsch reagiert hatten. Infolge des Streites hatte Vater sich ins Bett zurückgezogen, was aber am nächsten Morgen wieder ganz der Alte. Auch hier versuchte ich vorsichtig etwas Realität herzustellen und bat Vater, aus dem Fenster zu schauen, während ich mich in diese Gartenecke begab um nachzuschauen. Ich winkte Vater von dort zu und er winkte zurück. Als ich wieder ins Haus kam, waren die Gestalten natürlich weg und es war erst mal Ruhe. Am Folgetag aber wiederholte sich das und dann begann Vater, eine Verbindung zu sehen zwischen den vermeintlichen Diebstählen und den Gestalten. Diese Leute hätten die Absicht, sich sein Haus anzueignen, ihn zu vertreiben. Es handelt sich dabei um „jüngere Leute“ ohne nähere Angaben. Ich denke darüber nach und mir fällt der Cafegarten ein, der zwei Häuser weiter betrieben wird und in dem zu dieser Zeit reger Betrieb herrscht. Vor allem junge Leute sind dort zu Gast und manchmal ist der Lärmpegel etwas erhöht wie überhaupt zu dieser Zeit in der Kleinstadt, die in Konkurrenz zu anderen küstennahen Städten einiges bieten muss, um die Touristen anzulocken. Aber all das geschieht schon seit vielen Jahren. Es besteht in alledem ein rationaler Kern. Nur noch sehr wenige Privatwohnungen existieren in dieser längst zur Fußgängerzone gewordenen Straße und Vater hat schon vor vielen Jahren von einer Art „Verdrängungswettbewerb“ gesprochen. Ich nehme das mal wieder zum Anlass, um auf den Umzug in betreutes Wohnen hinzuweisen. Das Haus würde v.a. wegen der von Geschäftsleuten beliebten Lage keinen schlechten Preis erzielen, von dem sich möglicherweise ein guter Lebensabend mit optimaler Pflege finanzieren ließe. Andererseits ist es aber doch eine vertraute Umgebung und vieles ist schnell erreichbar. Hier dürfte am Ende wohl erst der Leidensdruck das entscheidende Wort sprechen. Mir liegt nichts am Erbe; ich verachte „Geldgeilheit“.

                                      Bei meinen Einkäufen begegnete ich einer meiner beiden Tanten und diese meinte, dass Vater wohl „tüchtig abgebaut“ habe. Das ist eine interessante Aussage, weil meine Tante Vater seltener sieht als ich und daher ein eher grob gerastertes Bild hat. Ich bin ja jetzt immer öfter bei meinen Eltern und sehe die Entwicklungen in kleineren Schritten, wobei ich mich an die vielen kleinen Fehlleistungen bereits gewöhnt habe, die aber einem Menschen, der Vater nicht so häufig sieht, eher auffallen. Dennoch klagt zuweilen Mutter u.a. immer noch über die ständigen Wiederholungen wie nach dem Erwachen das mehrmalige Fragen „Hast du gut geschlafen?“ (wie eine Schallplatte mit Sprung).

                                      Vater rasiert sich jetzt nur noch in der Küche oder im Wohnzimmer – kommt vielleicht mit dem Spiegel im Bad nicht mehr zurecht (ich spreche ihn darauf nicht an und lasse in machen). Neulich behauptete er, die Plastikabdeckung des Scherkopfes seines neuen Rasierapparates, den ich ihm letztes Jahr zu seinem 80.Geburtstag schenkte, sei verschwunden und fing an, danach zu suchen. Der Rasierer hatte nie eine solche Abdeckung sondern wird in einer Kunststoffschatulle aufbewahrt, deren Form genau den Apparat aufnimmt, so dass gar kein Raum für eine solche Abdeckung besteht (der alte Rasierer hatte allerdings eine solche Abdeckung). Nach Demonstration dieses Umstandes gibt Vater die Suche mürrisch auf und betreibt weiterhin seinen Kult mit Rasierapparat, Brillen und einigen Papieren.

                                      Ich bemerke leichte Depressionen bei mir. Vor allem tauchen durch das vermehrte Anwesendsein im elterlichen Haus auch ungute Erinnerungen in mir auf. Alte Konflikte, die ich vor vielen Jahren mal mit meinen Eltern – besonders mit Vater – hatte, schleichen sich v.a. nachts in meine Erinnerungen. Es gelingt mir gottseidank, dieses zu bewältigen – aber ich brauche auch die Zeiten in meinem eigenen Haus. Aber auch hier kreist mein Denken fast täglich um das Befinden meiner Eltern. Es gibt Tage, an denen ich nicht einmal mehr das Wort „Gehirn“ hören mag. Aber wie sangen schon Sonny and Cher? „The Beat goes on!“

                                      Soweit für diesmal.

                                      Liebe Grüße an alle LeserInnen
                                      Egon-Martin

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                                      • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                                        Hallo EgonMartin,
                                        schön, dass Sie wieder da sind.
                                        Ihr Bericht berührt mich - bei aller Sachkenntnis spüre ich,wie wichtig Ihnen Ihr Vater ist. Aber alles in allem ist sein Zustand offenbar zur Zeit sehr stabil.Ich melde mich in Kürze ausführlicher. Bin derzeit sehr mit dem Umzug in die Wohngemeinschaft beschäftigt. Am Donnerstag ist es schon so weit. Meine mühsam gebündelten Kräfte werden schwächer...aber ich habe das Ziel schon vor Augen! Hoffentlich wird dort alles besser und das Schicksal gibt mir ein kleines Dankeschön zurück.
                                        Alles Liebe

                                        Leona

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                                        • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                                          Hallo Leona,

                                          Danke für Ihren Beitrag. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Vater gutes Gelingen und dass die Odyssee, die Sie beide erleben mussten, jetzt endgültig der Vergangenheit angehören möge!

                                          LG
                                          Egon-Martin

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                                          • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                                            Hallo EgonMartin,
                                            aus meiner "düsteren Höhle" heraus sende ich ein kleines Lebenszeichen.
                                            Offenbar laufen die Tage um den "alten Herrn Eberhard" derzeit gleichförmig und ohne Adrenalin fördernde Begleitumstände. Ich würde mich freuen, wieder einmal ein Lebenszeichen zu lesen. Bei uns - nun ja - geht alles seinen traurigen Gang.
                                            Herzlichst, Leona

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                                            • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                                              Hier mein aktueller Bericht über den Zustand meines Vaters, wie er sich mir bei meinem letzten Besuch (bis 10.07.08) darbot:

                                              Gesamteindruck: in einem von mir in dieser kurzen Zeit nicht erwarteten Maß verschlechtert: kurzfrequente Stimmungswechsel, infantile Schuldprojektionen, Realitätsverkennung, Halluzinationen, demenzbedingte Paranoia

                                              Aphasie: Wortfindungsstörungen machten sich diesmal weniger bemerkbar

                                              Apraxie: Vater hat einmal versucht seine neue Uhr (Vater und Mutter hatten sich neue Uhren gekauft) mit geschlossenem Armband über die Hand zu ziehen und wirkt umständlicher bei der Handhabung seiner Gartengeräte, legt auch schon mal eine CD falsch herum in das Abspielgerät – sonst keine Auffälligkeiten, braucht aber auch zuweilen Hilfen beim richtigen Anziehen morgens

                                              Agnosie: selten, keine Veränderung

                                              Wahrnehmungsstörungen, Illusionen, Halluzinationen: Intensivierung der phantasierten Geschehnisse im Garten; Vater sieht u.a. manchmal Baumaschinen und spricht zuweilen von Leuten die ihn und Mutter „belagern“, Halluzinationen jetzt auch häufiger schon vormittags

                                              Reduplikative Paramnesie: zeitweise, erkennt einmal sein eigenes Haus nur nach Herumführen im ganzen Haus, dann auch wieder mal gar nicht

                                              Capgras: nicht vorhanden

                                              Psychotische Störungen: intensiviert paranoid in Zusammenhang mit den Halluzinationen, schiebt auch alle eigenen Fehlleistungen auf anonyme Fremde, es ist diesbezgl. nicht möglich, Realität herzustellen, jetzt auch häufiger schon vormittags

                                              Aggressivität: abgesehen von wenigem und nicht lautem Gemecker ab und an, keine Aggressionen

                                              Depressionen: häufiger introvertiert, missmutig, alles schlecht machend, bedeutend weniger humorvoll als noch vor wenigen Wochen, will auch wieder immer häufiger früh zu Bett trotz Sonnenschein

                                              Agitiertheit: sonst eher immer noch ein ruhiger Mensch, läuft Vater jetzt mehr herum, schaute einmal innerhalb einer Stunde mehrmals nach, ob sein Auto noch in der Garage stand, geht von der Seitentür hinein und schaut, geht dann hinaus um die Garagentür zu öffnen um sich auch von dieser Seite zu vergewissern, ob sein Auto noch vorhanden ist und ob es sich überhaupt um sein Auto handelt

                                              Ängste: M.E. zunehmend in Bezug auf „Belagerungen“

                                              Eigen- und Fremdgefährdung: unverändert, man muss aber zusehends ein Auge auf das Auto haben

                                              Medikation: unverändert

                                              Physisches Allgemeinbefinden: gut, abgesehen von leichter Übelkeit und Schwindel an den heißen Tagen; neigt leider dazu, zuwenig zu trinken

                                              Inkontinenz: keine

                                              Nächtliches Umherwandern: in Ansätzen jetzt vorhanden, besonders an den heißen Tagen oder wenn es nachts Lärm aus der Nachbarschaft (Biergarten) gibt – sonst das auch schon früher bekannte gelegentliche Aufstehen weil er „los müsse“.

                                              Hygiene: Toilette und Wäsche sauber: gut

                                              Nähere (prosaische) Erklärungen gemäß aktueller Erlebnisse:

                                              Schon bei meiner Ankunft war etwas anders. Die sonstige Euphorie, die ich immer antraf, war einer eher verhaltenen Freude gewichen, als Vater mich sah. Die Stimmung war etwas gedrückt, worüber ich mich sehr wunderte, denn gerade die Stimmung fand ich beim letzten Mal insbesondere wegen der langen Sonnentage verbessert. Auch hatte Mutter mir am Telefon vorher in der ganzen Zwischenzeit nichts gravierend Schlechtes mitgeteilt (sie konnte ja immer offen reden, weil Vater viel im Garten war), so dass ich diesmal länger in Bremen blieb als sonst. Das war ein Fehler.

                                              Wir waren wieder da, wo wir im Winter waren – nur das es alles in allem schlimmer war. Vater bot dasselbe Bild, wollte oft schon vor 21 Uhr zu Bett trotz Sonnenscheins und war missmutig. Nur zu den beiden EM-Fußballspielen unserer Nationalmannschaft blieb er länger auf und beim Finalspiel war er sogar wieder ausgesprochen gut gelaunt – trotz Sieg der Spanier. Sonst aber interessiert ihn weder Fußball noch anderes. Der Grund dafür mag u.a. in dem durch falsches Düngen etwas verhunzten Zierrasen zu finden sein. Vater hatte bei Sonnenschein und zu wenig Bewässerung an einigen Stellen zuviel Dünger gestreut, was zu Brandflecken führte. Seine Erklärung dafür: Spitzbuben hätten sich des Streusalzes aus der Garage bedient und den Rasen verätzt. Völliger Unfug und durch nichts zu beweisen – aber Vater hielt daran fest. Ich besorgte schnell etwas Grassaat und nach zwei Wochen sah der Rasen schon wieder bedeutend besser aus. Das ist jetzt der vorherrschende Charakterzug Vaters geworden: Er macht alles richtig und andere verhunzen ihm das alles. Und es geht schnell mit solchen Urteilen: Als einmal der Küchenabfluss verstopft war (das Problem wurde schnell durch Rohreiniger gelöst), waren es sofort wieder „die Anderen“, die es auf das Haus abgesehen hätten. Diese und weitere Dinge, die eng mit den jetzt häufiger werdenden Stimmungsschwankungen innerhalb eines Tages auftreten, zehren an Mutters und auch meinen Nerven. Beispiel: Ich hatte Photos für meine Eltern gemacht und war dabei, einige auf den Rückseiten zu beschriften. Vater sieht das und findet es großartig. „Die werden wir uns nachher beim Tee ansehen“ sagte er. Beim Tee aber hat er schon kein Interesse mehr daran und kommt auf sein Auto zu sprechen, an dem etwas fehle, so dass er gleich zur Werkstatt müsse. Mutter beteuerte, dass mit dem Wagen alles in Ordnung sei und er doch erst vor wenigen Wochen zur Inspektion war. Das interessiert Vater aber nicht. Aus der Fahrt zur Werkstatt wird nichts, da es gelingt, unter Verweis auf die Öffnungszeiten und Terminanmeldung, die Sache zu vertagen. Am nächsten Tag hatte Vater das schon wieder vergessen, kommt aber immer mal wieder auf dieses leidige Thema „Auto“ zurück. Er hängt sehr an seinem Auto und scheint zu ahnen, dass er dem Autofahren Lebewohl zu sagen hat. Er ist ja in den letzten Monaten nur noch sehr selten mit Mutter einfache Strecken gefahren – was er sogar noch kann (immerhin über 60 Jahre unfallfreies Fahren – das ist schon was).

                                              Als alles immer nerviger wurde und die nächtliche Unruhe – auch ausgelöst durch die Hitze und dem Lärm aus einem Biergarten – auftrat, beschloss Mutter endlich, darüber alleine mit dem Hausarzt zu reden, Vater musste natürlich mit und als Anlass diente der Schmerz in den Füßen von Mutter, die sich auch eine Überweisung zu einem Orthopäden holen wollte. Vater hat ja keinerlei Krankheitseinsicht mehr und wird mürrisch, wenn man auf das Thema „Demenz“ kommt.

                                              Der Arzt (Internist) hörte sich Mutters Ausführungen an, wollte aber an der bestehenden Medikation nichts ändern. Eine Erhöhung von Reminyl sei zwar noch möglich, würde aber die Halluzinationen nur verstärken. Weitere oder andere Mittel hätten zu viele Nebenwirkungen. Autofahren sei weiterhin erlaubt in Begleitung außer in Großstädten. Autofahren – so der Arzt – sei wie Schwimmen oder Fahrradfahren, das verlerne man nicht. Vater, der im Wartezimmer saß, wurde gar nicht in Augenschin genommen. Das hat mich sehr überrascht. Auf der einen Seite Halluzinationen anerkannt und dann Autofahren erlauben? Weiß der Mann denn überhaupt, was er da sagt? Mutter bekam nur den Rat, starke Nerven zu haben, „es sei nicht einfach“. Bislang hielt ich viel von diesem Arzt – ich denke, ich muss meine Meinung diesbezgl. ändern. Aber vielleicht bin ich ja auch im Irrtum? Man „tickt“ ja mit der Zeit selber nicht mehr richtig bei dem ständigen Beschäftigen mit diesen Problemen. Wechselbäder zwischen Mitgefühl und Wut, nächtelanges Grübeln, zunehmender Verlust an Konzentrationsfähigkeit haben sich bei mir eingestellt: Ahedonie, Depression. Ich werde meine Ärztin aufsuchen müssen und mir SSRI oder ähnliches verschreiben lassen. Peinlich – meine Mutter steckt das sogar noch besser weg als ich. Ich muss funktionieren – und wenn ich selber an meine neuromodulatorischen Systeme „drehen“ muss.

                                              Alles in allem also diesmal weit weniger erfreulich als sonst – die Einschläge kommen näher.

                                              Soweit.

                                              Mit freundlichen Grüßen an alle LeserInnen

                                              Egon-Martin

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                                              • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                                                Hallo EgonMartin,
                                                ich überspringe mal etliche Sequenzen Deines Berichtes und gehe sofort auf den Arztbesuch ein. Ich finde das Arztverhalten ebenso paradox wie Du - zunächst einmal verstehe ich nicht, warum er sich Deinen Vater, der ja im Wartezimmer saß, nicht angesehen hat - ein Gespräch geführt hat, einen kleinen Test gemacht hat. Dann erscheint mir der Umgang mit dem Antidementivum nicht professionell - meines Wissens nach, sollte es in absehbarem Zeitraum immer auf die Höchstdosis gebracht werden, um optimal zu wirken. Was die Halluzinationen angeht, so traten die bei meinem Vater auch schon in der Zeit auf, als er noch gar keine Medikation erhielt - es ist also zweifelhaft, ob ein ursächlicher Zusammenhang mit Reminyl besteht. Unverantwortlich finde ich die Art und Weise, wie der Arzt das Autofahren bagatellisiert. Sicher - die reine Bedienung des Fahrzeugs mag durch 60 Jahre Fahren mechanisiert sein - aber die Konzentrationsphasen werden beim Demenzkranken zunehmend kürzer und das Problemlösungsverhalten lässt massiv nach - was wird sein, wenn der Vater in eine kritische Verkehrssituation kommt und schnelle Entscheidung und Handeln gefragt ist? Es wäre hier wirklich angemessener, den Vater langsam auf ein Unterlassen des Fahrens vorzubereiten. Dieser Arzt hat wirklich Nerven! - Darf ich nochmal nachfragen, ob es sich um einen Allgemeinmediziner oder um einen Neurologen handelt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Neurologe so entscheiden würde - unbedingt zweite Meinung einholen, auch zur Medikation!
                                                Herzlichst Leona

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                                                • Re: Mein alter Herr Eberhard - Folgethread


                                                  Hallo Leona,

                                                  was soll ich machen? Meine Eltern sind seit 8 Jahren in der Behandlung dieses Facharztes für innere Medizin. Und in seinem Fach ist er auch wirklich gut und gefragt - hat immer viel zu tun. Meine Eltern gehen nicht ohne seine Überweisung zu einem anderen Arzt - die haben viel Vertrauen zu ihm. Ich habe diese Problematik ja mit Mutter besprochen und zum Glück findet Vater alleine auch keinen Weg mit seinem Auto aus den kleinen Gassen unserer Kleinstadt hinaus, so dass ich nicht annehme, dass er eigenständig losfährt - er käme vmtl. nicht viel weiter als vielleicht hundert Meter von der Garage entfernt. Richtig wäre eine Überprüfung der Fahrtüchtigkeit - aber allein ein solcher Vorschlag würde Vater bereits verärgern. Er hat ja keine Krankheitseinsicht. Am Auto herumzuschrauben brächte auch nichts, da er dann zu einer Werkstatt laufen würde und den Wagen in Ordnung bringen ließe. Dazu ist er immer noch clever genug. Ich fahre konsequent und fast demonstrativ seit letzten Sommer nicht mehr mit Vater - aber das wird auch kaum zur Kenntnis genommen. Immer hieß es "Der Arzt hat es mit Einschränkungen erlaubt" und dann sind Vater und Mutter doch noch gefahren (Mutter hat keinen Führerschein). Es ging ja auch immer gut und es geschah nicht oft und nur auf verkehrsarmen Strecken. Mutter ist aber einsichtiger geworden und so gehen Vater und Mutter jetzt mit einer rollbaren großen Einkaufstasche immer öfters einkaufen. Möglicherweise stört es Vater ja auch zunehmend, dass er schon lange nicht mehr gefahren ist und er entwickelt daher ein zunehmend bizzarrer werdendes Verhältnis zum Auto. Ich weiß es nicht, habe keine Erfahrungen.

                                                  Ich überlege allerdings, ob ich beim nächsten Besuch mal mit der Polizei sprechen sollte. Aber ob die ohne Anlass was machen können, ist auch fraglich. Ich habe noch nichts von Verkehrskontrollen mit Führerscheinentzug gehört bei Demenzkranken ohne Anlass. Vater hat alle Bürgerechte und ist nicht gravierend auffällig - da läuft m.E. juristisch (noch) gar nichts. Die einzige Möglichkeit könnte das Vormundschaftsgericht sein - aber auch dafür könnte Vater noch "zu fit" sein. Gibt es denn einen Betreuer für Autofahren?

                                                  Man muss das auch anderherum sehen: Wenn es leicht wäre, jemanden amtlich zu bevormunden, könnte damit ja auch viel Unfug getrieben werden. Dann könnte ja jeder x-Beliebige jeden einen Betreuer "verpassen".

                                                  Der Arzt spielt indes ein riskantes Spiel. Denn wenn etwas passiert, ist er m.E. auch dran.

                                                  Wie wurde denn Deinem Vater das Autofahren "entzogen"? Hatte er Einsicht?

                                                  Ich bin ja für jeden Tipp dankbar, auch wenn ich gar nichts zu sagen habe weil meine Mutter noch "davor" ist. Es ist ein komplexe Situation.

                                                  LG
                                                  Egon-Martin

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