für Onkologie und Hämatologie
Charité Campus Mitte
Dir. Prof. Dr. Kurt Possinger
Jahrgang 6, Ausgabe 2/2001
Bausteine unserer Nahrung: Milch - Gesundheit pur?
Die Milch und ihre Produkte werden Dank einer sehr ansprechenden Werbung als gut und wertvoll, ja gesundheitlich unverzichtbar angesehen. Die Milchindustrie hat sehr dazu beigetragen, dieses positive Bild von der Milch zu erzeugen. Heute in der Zeit der BSE-Krise wird der Kreis derer immer groeßer, die davon ueberzeugt sind, dass jeder Milch braucht, um sich gesund zu erhalten. Leider teilen auch viele Ernaehrungsberater, viele Aerzte und Ernaehrungswissenschaftler diese Meinung.
Wegen der sehr aehnlichen Zusammensetzung der Naehrstoffe kann man Milch aber auch als fluessiges Fleisch betrachten. Somit ist auch viel Ungesundes, was mit Fleisch verbunden wird, auch bei der Milch und ihren Produkten moeglich.
In der Natur produziert eine Kuh, die ein Kalb aufzuziehen hat, ungefaehr 3,5 Liter Milch pro Tag. Sicherlich ist die Milch ein perfektes Nahrungsmittel fuer das Kalb, das sein Geburtsgewicht innerhalb von ca. 40 Tagen verdoppeln soll. Darin sind alle Naehrstoffe fuer das Kalb in optimaler Zusammensetzung enthalten. Aber ist alles was fuer ein Kaelbchen gut ist, auch fuer den Menschen gut? Ueberdies hat der Mensch mittlerweile spezielle Milchkuehe gezuechtet, die ca. 20 bis 40 Liter Milch pro Tag geben. „Turbokuehe“ bringen es sogar auf 80 Liter, und der Weltrekord liegt bei 126 Liter pro Tag. Teilweise muss das Euter dieser Kuehe gestuetzt werden, weil ansonsten das Eutergewebe durch die Milchlast zerreißen wuerde! – Ist auch diese Milch noch optimal? Die meisten Menschen trinken sie und verzehren ihre Produkte jedenfalls ohne Bedenken.
Nun zu der Frage: Ist es moeglich, dass Milchgenuss auch Gesundheitsrisiken in sich birgt?
Milch enthaelt viel Fett.
Koennen Milch und Milchprodukte den Cholesterinspiegel im Blut erhoehen? Heute ist es nun keine Frage mehr, dass Fett ein Hauptrisikofaktor fuer Herzerkrankungen, Altersdiabetes, Darmkrebs, und andere ernsthafte Erkrankungen ist. Viele Menschen reduzieren das Fett in ihrer Ernaehrung, indem sie es vom Fleisch abschneiden, erkennen aber nicht, dass sie es bei der Milch auch tun sollten. Trotzdem stellt entrahmte bzw. fettarme Milch keine gute Alternative dar, weil man ein Produkt erhaelt, das dann betraechtlich mehr Eiweißkonzentriert ist.
Milch enthaelt viel tierisches Eiweiß.
Nicht nur das Fett in der Milch verschlechtert den Cholesterinspiegel im Blut, sondern auch das tierische Eiweiß. Tierisches Eiweiß besitzt ueberdies ein hohes Potential, beim Menschen Allergien auszuloesen. Eine Reaktion des menschlichen Immunsystems auf das Milcheiweiß sind die verschiedenen Lebensmittelallergien. Milchallergie ist mit die haeufigste Lebensmittelallergie. Teilweise foerdert die Milch auch andere Nahrungsmittelallergien, z.B. gegen Getreide. Auch Asthma, Schlafstoerungen und Migraene koennen mit dem Genuss von Milchprodukten zusammenhaengen. Bebies leiden haeufig an Koliken. Kinderaerzte fanden heraus, dass Kuhmilch oft der Grund dafuer ist. Auch kann tierisches Eiweiß die Entstehung von Darmkrebs foerdern.
Milch enthaelt Milchzucker (Laktose).
Laktose besteht aus zwei Molekuelen: der Galaktose und der Glukose. Eine Studie der Harvard-Universitaet hat herausgefunden, dass der uebermaeßige Konsum von Milchprodukten eine Anhaeufung von Galaktose im Blut verursachen kann. Der menschliche Organismus aber benoetigt zur Verstoffwechslung der Galaktose ein bestimmtes Enzymsystem, das altersabhaengig funktioniert. Mit der Entwoehnung des Saeuglings wird das Gen, das diesen Vorgang steuert, allmaehlich abgeschaltet, und die Verwertung der Galaktose bereitet zunehmend Probleme: So kann sich unter anderem auch in der Augenlinse nicht verstoffwechselte Galaktose anhaeufen und das Risiko der Entwicklung eines grauen Stars erhoehen.
Ein weiteres Problem kann die sogenannte Laktoseintoleranz sein. Diese Laktoseunvertraeglichkeit ist bei den verschiedenen menschlichen Rassen sehr unterschiedlich ausgepraegt. So haben schwarze Afrikaner mit 95 - 100 % Laktoseintoleranz den hoechsten Anteil, waehrend weiße Europaeer mit 5 – 10 % die niedrigste Rate aufweisen.
Diese Unterschiede haengen mit dem unterschiedlichen Ernaehrungsverhalten der Voelker zusammen. Voelker mit langem Milchkonsum in ihrer Geschichte weisen eine geringere Laktoseintoleranz auf. Diese Tatsache kann in bestimmten Situationen zu schwerwiegenden Problemen fuehren: Entsteht z.B. in Afrika eine Hungersnot, und wir als Europaeer, die im Ueberfluss leben, werden durch die Fernsehbilder der hungernden Kinder angeruehrt zu helfen, passiert etwas voellig Unerwartetes: In bester Absicht schicken wir Flugzeuge, die voll mit Milchpulver beladen sind, um den Hunger zu stillen. Aber was passiert in Wirklichkeit? – Die hungernden Kinder koennen diese Milch gar nicht richtig verdauen und bekommen zum Teil schlimme Durchfaelle.
Umweltgifte in der Milch.
Wie andere Tierprodukte auch beinhaltet die Milch verschiedene Verunreinigungen von Schaedlingsbekaempfungsmitteln bis hin zu Medikamenten. In rund einem Drittel aller Milchprodukte lassen sich Antibiotikareste nachweisen.
Eisenmangel.
In einer milchreichen Ernaehrung tritt viel haeufiger ein Eisenmangel auf. Grund hierfuer ist die Tatsache, dass Milch die Magensaeure, die fuer die Aufnahme von Eisen sehr wichtig ist, bindet. Die Eisenaufnahme in den Organismus wird somit erschwert.
Osteoporose und Milchkonsum.
Milch als Kalziumquelle zum Vorbeugen von Osteoporose – diese Annahme ist auch nicht ganz gerechtfertigt: Gerade in Laendern, in denen der geringste Verbrauch von Milchprodukten gegeben ist, ist Osteoporose fast unbekannt, waehrend Laender mit hohem Verbrauch die hoechsten Osteoporoseraten aufweisen. Die USA rangieren z.B. im Verbrauch an Milchprodukten ganz oben. Die Osteoporose ist auch dort am haeufigsten.
Bedenkt man all dies, so wird klar, dass Milch mehr auf der Contra-Seite als auf der Pro-Seite zu verbuchen hat. Gleichzeitig weist aber der Konsum von Milch und Milchprodukten eine steigende Tendenz auf.
Die Alternative ist klar. Wer sich gesund ernaehren will, wird sich schrittweise auf eine ausgewogene, abwechslungsreiche, pflanzlich (vegane) ausgerichtete Ernaehrung umstellen. Diese Ernaehrung bietet alles, was der menschliche Organismus benoetigt. Selbst auf den Genuss beim Essen braucht da niemand zu verzichten. Gegenteilige Meinungen sind in der Regel auf Unwissenheit und jahrelang unreflektiert praktizierte Gewohnheiten zurueckzufuehren. Die Aussicht auf ein neues Lebensgefuehl und bessere Vitalitaet sollte auf jeden Fall jede Anstrengung zur Aufgabe falscher Ernaehrungsgewohnheiten lohnen.
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