du hast mich gebeten, etwas zu den unterlagen zu sagen, die bluemoon mir zur verfügung gestellt hat. das möchte ich lieber nicht tun, könnte doch der eindruck entstehen, ich würde bluemoon als person kritisieren oder explizit ihre statistiken anzweifeln
nein, ich habe grundsätzlich ein problem mit den in der ernährungslehre so gern angeführten studien. natürlich (und verständlicherweise) wird jetzt wieder der aufschrei kommen: ja, was will er denn überhaupt? zieht alles in zweifel, und präsentiert man ihm zahlen, dann glaubt ers erst recht nicht?
das ergebnis der studien wird gern auf eine griffige zahl reduziert. beispiel (frei erfunden): müsli-esser weisen ein um 40 % reduziertes magenkrebs-risiko auf
die botschaft ist unmißverständlich, nicht wahr? müsli ist gut gegen krebs
schauen wir mal genauer hin
erstens: können wir sicher sein, daß dieses ergebnis nicht einfach zufall ist? (z.b., weil die untersuchte gruppe viel zu klein war?) "nicht einfach zufall" nennt man "statistisch signifikant". das ist das von milly in die diskussion eingebrachte 0,05-kriterium. es besagt, daß das ergebnis mit einer wahrscheinlichkeit von 5 % reiner zufall ist
diese 5 % sind ein guter wert und werden allgemein als kriterium für ein statistisch aussagekräftiges ergebnis gewertet. dennoch handelt es sich dabei natürlich um ein willkürlich gesetztes kriterium und nicht um eine garantie für die aus der studie abgeleiteten erkenntnisse
nehmen wir also an, unsere müsli-studie besteht den signifikanztest
wir interessieren uns weiter für magenkrebs und wollen nun wissen, wie sich fahrrad fahren darauf auswirkt. rein zufällig stellt sich heraus, daß alle unsere müsliesser auch mit dem fahrrad zur arbeit fahren. da haben wir aber glück gehabt: wir müssen nicht hunderte leute neu befragen. statistisch ist das völlig sauber
was lernen wir aber jetzt daraus?
daß müsli essen vor krebs schützt?
daß fahrrad fahren vor krebs schützt?
daß nur müsli essen zusammen mit fahrrad fahren vor krebs schützt?
daß müsliessende fahrradfahrer vielleicht generell einen gesünderen lebensstil pflegen, der sie vor krebs schützt?
wie auch immer. das ergebnis ist doch interessant, jetzt wollen wir wissen, wozu müsliessen und fahrrad fahren noch gut sind, und wir beobachten unsere probanden auch im hinblick auf andere gesundheitliche aspekte
hätten wir besser nicht getan. es zeigt sich nämlich, daß unsere müsliessenden fahrradfahrer eine gegenüber der durchschnittsbevölkerung deutlich reduzierte lebenserwartung haben. mag sein, das liegt an den lkws ohne ausreichende rückspiegel, die die fahrradfahrer an den radwegkreuzungen umnieten - bloß war das nicht untersuchungsgegenstand. wir haben uns für müsli interessiert und finden nun zu unserem entsetzen, daß müsliessen - statistisch signifikant - das leben verkürzt
wäre ich müsliproduzent, so würde ich dieses ergebnis natürlich nicht veröffentlichen, sondern in meiner werbung nur auf den magenkrebs verweisen
lassen wirs dabei. man wird mich jetzt ohnehin wieder der polemik zeihen. nur ums festzuhalten: ich sage nicht, daß statistische auswertungen von vornherein unfug oder gar betrug wären. ich meine nur, daß solche studien unheimlich schwierig zu bewerten sind. es gilt randbedingungen und einflußfaktoren zu erkennen und bewerten, die aus einer einzigen zahl (-40% magenkrebs) einfach nicht hervorgehen
für ziemlich unsinnig halte ich untersuchungen nach dem motto "schauen wir mal, was dabei rauskommt". ich lasse probanden mein nem einnehmen und vergleiche dann diese gruppe mit nicht-konsumenten, indem ich einen fragebogen zu dreihundert gesundheitsaspekten ausfüllen lasse. es werden viele nichtsignifikante ergebnisse herauskommen, aber auch einige signifikante statistische abweichungen. die "positiven" kann ich dann veröffentlichen - die wissenschaft hat festgestellt, daß nem vor xy schützt - , die "negativen" kann ich ja für mich behalten
ein ursächlicher zusammenhang zwischen nem und (weder positiven noch negativen) effekten wäre damit ohnehin nicht bewiesen
um einen ursächlichen zusammenhang herstellen zu können, müßte ich zumindest vorher wissen, welcher effekt warum zu erwarten ist. dann kann ich meinen versuchsaufbau so gestalten, daß störende einflußfaktoren möglichst ausgeschaltet werden
das ist die wissenschaftliche vorgehensweise: eine hypothese aufstellen, und die dann durch den versuch beweisen. alles andere ist methodisch nicht sauber. und deshalb beharre ich so stur auf meiner frage nach "lasten- und pflichtenheft"
das ist jetzt leider ziemlich lang geworden. ist noch jemand da, der mitliest?
grüße nach tirol und auch an alle anderen
vom arbiter
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