Die letzten drei Monate waren für sie und für mich eine Qual.
Am 07. November 2008 wurde meine Mutter mit einer akuten Becken-Venen Thrombose in ein Krankenhaus eingeliefert. Die Vene war zu 100 % zu und daher musste sofort notoperiert werden. Diese erste OP verlief relativ gut und man legte sie danach auf die Intensivstation. Ein paar Stunden später kam es zu massiven Einblutungen, welche ihr die Luftröhre abschnürten und es musste ein Luftröhrenschnitt gemacht werden. Sie wurde sofort wieder notoperiert, wobei sie 2 Minuten klinisch tot war, 10 Liter Fremdblut bekam und eine Lungenembolie erlitt. Man legte sie ins künstliche Koma und nach der OP in ein spezielles Rotationsbett. Dieses Bett sorgte dafür, dass die Flüssigkeit aus der Lunge schneller verschwand.
Ich fuhr Samstags am frühen Morgen direkt ins Krankenhaus. Zuerst musste ich mit dem Arzt sprechen. Er erzählte mir den Verlauf der beiden OP`s und erwähnte bestimmt dreimal:"Die Situation ist kritisch". Diesen Satz werde ich nie vergessen. Danach durfte ich endlich zu meiner Mutter.
Wir gingen also in das Zimmer der Intensivstation. Ich habe sie nicht erkannt. Sie lag in diesem Bett, welches sich immer von rechts nach links drehte. Sie hang an zig Schläuchen und vor allem diese grosse Beamtmungsmaschine, die in ihrem Hals steckte, machte mir Angst. Durch den Unterdruck, der durch dieses Bett kam, war ihr ganzer Oberkörper voll Wasser. Überall kam Blut raus. Es war so schrecklich, aber ich dachte die ganze Zeit: Sie schafft das. Für mich war eigentlich total klar, dass sie das überlebt. Und das tat sie zu diesem Zeitpunkt ja auch.
Nach ca. vier Tagen konnte man sie aus dem künstlichen Koma holen und von da an, ging alles bergauf. Ich habe sie täglich besucht und man konnte jeden Tag einen kleinen Fortschritt sehen. Sie konnte zwar anfangs noch nicht sprechen, da sie ja in der Luftröhre den Schlauch stecken hatte, aber sie war total tapfer. Die ersten Tage hat sie mir dann Nachrichten auf eine Kindertafel geschrieben. Irgendwann bekam sie dann eine silberne Kanüle in den Hals gesteckt, mit der sie sprechen konnte. Ich hab sie dann immer aufgezogen, weil es so aussah, als ob ihr ein Wasserhahn aus dem Hals guckte. Aber auch diese ganzen Tage auf der Intensivstation hat sie tapfer gemeistert.
Nach ca. drei Wochen konnte sie die Intensivstation verlassen und kam auf eine normale Station. Die Wunden heilten gut und sie fing langsam wieder das laufen an. Wir konnten gemeinsam über dem Flur gehen und sogar in das Krankenhauscafè. Wir aßen zusammen und schmiedeten Pläne für den kommenden Sommer. Meine Kinder waren glücklich, auch endlich mal mit in das Krankenhaus zu dürfen und sie hat sich gefreut, endlich ihre Enkelkinder wiederzusehen. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich wirklich, alles sei ausgestanden.
Eine Woche vor Weihnachten klagte sie über Schmerzen im Bein. Man sagte, es komme vom laufen, dann hiess es, sie hätte eine Streptokokkenentzündung. Also bekam sie ein Antibiotikum und auch Kortison. Bis heute weiss ich nicht, ob dies überhaupt der Wahrheit entsprach. Kurz vor Weihnachten 2008 fing der linke Fuß an der Oberfläche an schwarz zu werden. Es wurden unzählige Untersuchungen gemacht und man sagte, dass käme durch das Marcumar (Blutverdünnungsmittel). Also setzte man Marcumar ab und spritzte Heparin.
Dazu muss ich sagen, sie bekam schon die ganze Zeit Blutverdünnungsmittel, es wechselte ständig zwischen Heparin (welches sie in die Venen bekam) und Marcumar (welches sie als Tabletten bekam).
Ein Tag vor Weihnachten hab ich sie besucht und sie lag weinend alleine im Zimmer. Sie krümmte sich vor Schmerzen und keiner half ihr. Ich hab dann bei der Krankenschwester Ärger gemacht und nach einem Arzt gefragt. Zufällig kam dann der - ich glaube - Verwaltungsdirektor rein. Dieser wollte Geschenke an die Patienten verteilen. Da meine Mama so am weinen war, habe ich ihm dann die ganze Geschichte erzählt. Er ging also raus, telefonierte kurz und schon zwei Minuten später stand der Chefarzt im Zimmer. Dieser schaute sich nochmals den Fuß an und ging wieder. Danach kam dann der Chefarzt der Schmerztherapie und meine Mutter bekam eine richtige Medikation der Schmerzmittel und konnte wenigstens etwas schlafen.
Es war Weihnachten und ich habe zu ihr gesagt:" Mama, lass uns dieses Jahr Weihnachten vergessen. Du lebst und das ist die Hauptsache. Wir haben ja noch nächstes Jahr Weihnachten für uns. Dann bist Du auf jeden Fall wieder bei uns zu Hause." Auch diese Worte werde ich nie vergessen. Aber ich war wirklich überzeugt davon.
In den folgenden Tagen hiess es, meine Mutter hätte eine Nekrose, ausgelöst durch Marcumar. Diese Nekrose wurde leider grösser und es blieb nicht die einzige. Sie bekam auch am Oberschenkel eine solche Stelle. Einzelheiten über Gewebe welches abstirbt, möchte ich hier nicht ausführen, aber es war sehr schrecklich und sehr schmerzhaft.
Man wollte meine Mutter dann in eine Uni-Klinik verlegen. Das Gewebe sollte grossflächig ausgeschnitten werden und wenn dieses dann verheilt wäre, sollte eine Hauttransplantation gemacht werden. Die Schmerzen in dem linken Bein wurden jedoch wieder stärker und das Bein schwoll an. Ich habe immer wieder mit den Ärzten gesprochen. Keiner konnte mir sagen, warum sie Nekrosen bekommt. Man teilte mir mit, sie würde auf das Marcumar und das Heparin nicht so reagieren, wie es üblich wäre. Dann hatte sie angeblich eine Allergie gegen Marcumar und Heparin und bekam etwas, was sich - glaube ich - Orgaran nannte. Immer wieder betonte man, sie wäre ein sehr seltener Fall und man würde alles tun, um ihr zu helfen. Jedoch kamen leider nie ganz genaue Angaben. Zwischendurch wurde vermutet, es handelt sich um einen seltenen Gendefekt und mag lag mir nahe, mich auch diesbezüglich untersuchen zu lassen.
Anfang Januar wurde sie dann in die Uni-Klinik Münster verbracht. Dort wurde sie untersucht und man stellte wieder eine akute Thrombose im linken Bein fest. Noch am gleichen Tag wurde sie wieder zurück in das Krankenhaus gefahren und dort weiter untersucht. Am Freitagmorgen rief meine Mama mich unter Tränen bei der Arbeit an und sagte mir, sie würde wieder operiert werden. Sie hatte so eine Angst, dass es wieder den gleichen Verlauf geben würde, wie im November. Ich fuhr sofort los zum Krankenhaus.
Sie wurde 1 1/2 Stunden operiert und die OP verlief gut. Diesmal hatte sie im linken Bein (an welchem sie auch die Nekrosen hatte) eine Becken-Venen-Thrombose. Ich fragte die Ärzte, warum sie schon wieder eine Thrombose hätte, sie bekam doch Blutverdünnungsmittel. Sie konnten es mir nicht sagen. Ich habe in der ganzen Zeit so oft gehört, dass sie ein seltener Fall wäre, dass die Ärzte dort so etwas noch nicht gehabt hätten .......
Den Samstag nach der OP erholte sich meine Mutter gut auf der Intensivstation. Wir haben uns lange unterhalten und Pläne für den Sommer geschmiedet. Sie wollte gerne eine Freundin in Bayern besuchen. Am Sonntagmorgen musste ich mit meiner Tochter zum Notarzt und als ich zurückkam, hielt mein Mann mir den Telefonhörer hin. Meine Mutti rief von der Intensivstation an und sagte mir, man hätte keinen Puls mehr im linken Fuss feststellen können und sie müsste wieder operiert werden.
Auch diesmal fuhr ich sofort los, kam jedoch später, da ich in einer anderen Stadt wohne und meine Mama lag schon im OP-Saal. Diesmal operierten sie 4 1/2 Stunden und die Zeit im Krankenhaus war für mich wie Jahre. Nach der OP sagte man mir, dass die Vene, die am Freitag operiert wurde, schon wieder mit Thromben zu war. Der Fuss starb ab und man könne dort nichts mehr machen. Sie würde den Fuss auf jeden Fall verlieren. Man wollte jetzt nur noch abwarten, wie weit dieses "Absterben" fortschreiten würde um nicht "scheibchenweise" zu operieren.
Die Ärzte der Intensivstation telefonierten, der Chefarzt der Gefäßchirurgie rief alle umliegenden Uni-Kliniken in Münster, Dortmund, Essen, Düsseldorf etc an. Sogar bis ins Ausland haben sie Kontakt aufgenommen. Keiner konnte sagten, warum der Körper meiner Mutter so reagiert. Irgendwann hiess es dann, sie hätte eine sogenannte HIT II. Wenn ich es richtig verstanden habe, bildet der Körper gegen das Heparin Antikörper. Dadurch verklumpen weisse Blutkörperchen und bilden Thromben. Normalerweise setzt man dann das Heparin sofort ab und gibt ein anderes Medikament. Dadurch soll sich der Prozess stoppen lassen, leider gelang dies aber nicht bei meiner Mutter.
Das linke Bein war abgestorben und der rechte Arm fing auch an blau und dick zu werden. Sie bekam viel Schmerzmittel, war aber trotzdem im Kopf noch ganz klar. Ich war jeden Tag bei ihr und war auch fest davon überzeugt, dass die Ärzte ihr helfen würden. Jedoch wusste wirklich keiner, warum es bei ihr so dramatisch verlief. Meine Informationen über diese sogenannte HIT II habe ich mir aus dem Internet geholt. Daher wusste ich, dass es lebensgefährlich war und dass ihr Bein auf dem Spiel stand. Aber meine Frage war und ist heute noch: Warum hat man diese HIT II nicht vorher festgestellt?
Freitag, den 30.01.09, ging ich wie gewohnt morgens einkaufen, um dann direkt ins Krankenhaus zu fahren. Ich hatte mir Urlaub genommen, weil ich am liebsten Tag und Nacht bei meiner Mutter gewesen wäre. Als ich morgens ins Krankenhaus kam, wollten der ltd. Oberarzt der Intensivstation und der Chefarzt der Gefäßchirurgie mit mir reden. Also gingen wir in das Sprechzimmer. Dort erklärten sie mir, dass meine Mutti noch zwei Optionen hätte.
Zum einen hätten sie sie operieren können, dabei hätten sie ihr auf jeden Fall das linke Bein und den rechten Arm abnehmen müssen. Wobei der linke Arm aber auch schon anfing, leicht blau zu werden. Man sagte mir auch, dass ich mich darauf einstellen müsse, dass sie dann wieder wie im November dort liegen würde, d.h. Beatmung, evtl. künstliches Koma. Sie hatte zwischen Lunge und Zwergfell Flüssigkeit, woher konnten die Ärzte nicht sagen.
Oder, und das sagten sie mir ganz ehrlich, sie operieren nicht mehr, dann bekäme sie Morphium gegen die Schmerzen. In meinem Kopf hat sich alles gedreht, wir haben doch über meine Mutter gesprochen. Das konnte ich nicht entscheiden, ich wollte es auch gar nicht. Ich wollte doch nur eines, dass meine Mutti gesund wird.
Die Ärzte sprachen also mit meiner Mutti selbst. Doch sie entschied sich gegen eine OP und gegen diese kleine minimale Chance zu überleben. Sie wollte nicht mehr operiert werden, sie wollte keine Schmerzen mehr haben und vor allem wollte sie nicht ohne Arme und Beine leben. Aussenstehende mögen jetzt denken, ja, so hätte ich auch entschieden. Denn wer möchte schon so leben? Aber ich wollte meine Mama behalten und habe sie dreimal angebettelt, sich operieren zu lassen. Ich war die ganze Zeit des Krankenhausaufenthaltes so optimistisch und habe nie vor meiner Mutter geweint, doch in dem Moment habe ich geweint wie ein kleines Kind. Ich wollte eine OP, ich wollte meine Mama, egal wie.
Sie blieb bei ihrer Entscheidung. Gegen Mittag fingen die Ärzte an Morphium zu geben. Seit dem Zeitpunkt war sie eigentlich nur noch am schlafen und nur wenn ich ganz laut mit ihr geredet habe, machte sie kurz die Augen auf. Ihr Lebensgefährte kam vorbei, um mit mir ihre letzten Stunden zu erleben. Auch mein Mann und eine Freundin meiner Mutter kamen noch vorbei, um sich zu verabschieden. Abends fing sie trotz Schlafens an zu stöhnen und ich bekam Angst. Ich wollte nicht, dass sie Schmerzen hat. Der Arzt erhöhte die Dosis des Morphiums. Es war der 31.01.09 um 0.37 Uhr als meine Mutti dann ihre letzten Atemzüge machte. Sie schlief friedlich ein und quälte sich zumindest in dem Moment nicht mehr. Ich habe die ganze Zeit ihre Hand gestreichelt. Der rechte Arm war tagsüber auch ganz blau geworden.
Den genauen Namen einer Krankheit kann ich nicht sagen, ich glaube selbst die Ärzte könnten darauf keine genaue Antwort geben. Ich habe wahrscheinlich auch nicht alles genau so wiedergegeben, wie es ein Arzt machen würde. Die drei Monate im Krankenhaus waren ein rauf und runter, für mich ein absolutes Chaos. Man sagte mir nur, ich solle mein Blut auf jeden Fall in einer Uni-Klinik untersuchen lassen, auf eine evtl. Blutgerinnungsstörung.
Ich habe meine Mutti sehr geliebt und kann mir bisher noch kein Leben ohne sie vorstellen. Sie hat immer sehr viel für mich getan und war immer für mich da. Sie war eine gute Mutter und das einzige was ich für sie tun konnte, war da zu sein, als sie gehen musste
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