"Grundsätzlich wollen sich viele Männer vor allem in länger andauernden Beziehungen, den Übertritt in die erotische Welt am liebsten ersparen.
Sexualität wird in der Alltagswelt gleichsam mit erledigt, der Aufbau einer erotischen Atmosphäre, der Grenzgang zwischen den Welten als überflüssig oder mühselig angesehen.
Bei einem Teil der Patienten scheint die erotische Innenwelt verarmt. Der Kopf ist leer, alles muss extern (PORNOGRAFIE) zugeführt werden.
Die Zunahme sexueller Appetenz - und Erregungsstörungen bei Männern
- bedenken wir, dass auch erektile Dysfunktionen Störungen der sexuellen Erregung sind -
ist in dieser Betrachtungsweise darin begründet, dass keine erotische Kodifizierung von Reizen und Interaktionen mehr gelingt.
Eigentlich wäre alles möglich, aber nichts geht, kein Funke springt.
Offenbar hat die naturalistische Modernisierung der Sexualität, oft einseitig als sexuelle Befreiung beschrieben, hieran ihren Anteil, da ihre Botschaft, nach der Sexualität kein "big deal" mehr, sondern ein Lüstchen wie andere auch ist, zusammen mit dem sexuellen Aktivitätsgebot die sexuelle Motivation eher geschwächt als gestärkt.
Sicher üben auch andere Entwicklungen wie die immer stärkeren Zerstreuungen, die Informationsflut, der Freizeitstress und die entsinnlichende Wirkung der steten Beschleunigung der Lebensvollzüge entsprechende Wirkungen aus.
Darüber hinaus spielt bei dem Problem der Verfügbarkeit und des Zugangs zu erotischen Welten auch die in den letzten Jahren stärker gewordene negative Konnotierung männlicher Sexualität eine Rolle, die sich etwa in der erhitzten öffentlichen Diskussion zu Themen wie Sexualstraftaten, Gewalt gegen Frauen oder sexuellem Missbrauch manifestiert.
Die Identifizierung männlicher Sexualität als Problem und potenzielle Bedrohung macht den Grenzgang, den Identitätswechsel, der für das erotische Erleben so zentral ist, für viele Männer zum Risiko.
Kein „Walk on the wild side" mehr, sondern erstarrte Harmonie und Symmetrie Ideale mit dem Versuch, das Aggressive aus der Sexualität auszutreiben, was zu einer
"Strangulation" des Sexuellen führt,
zu seiner Aushöhlung und Abtrennung von der Lebendigkeit.
Da im Unbewussten Sexuelles und Aggressives nicht auseinander zu dividieren sind, resultieren daraus die oben angesprochenen neuen Spaltungen, durch welche die subjektive erotische Welt zu verkümmern droht und zumindest für die partnerschaftliche Sexualität unzugänglich wird."
Kommentar