Als sie starb, erinnerte sich die Partei wieder an sie. Nach 50 Jahren Desinteresse gab das Politbüro geschlossen ein gutes Beispiel chinesischer Höflichkeit: Es kondolierte den Nachkommen Chen Zongjins, einer Parteigenossin, deren abenteuerliches Leben über hundert Jahre währte. Oder, mit den Zeitbegriffen der KP Chinas gerechnet: deren Parteimitgliedschaft über 71 Jahre währte - länger als die Existenz der sowjetischen KP. Die offizielle Anteilnahme hatte einen makaberen Grund: Chen Zongying war die Frau Ren Bischis, eines hohen kommunistischen Funktionärs, der im Oktober 1950 gestorben war - nur ein Jahr nach Maos mörderischem Langen Marsch. Ren Bischi starb zu früh, um in Ungnade zu fallen, um - schuldig oder nicht - Opfer einer Säuberungsaktion zu sein. Chen Zongying zehrte vom unbeschädigt hohen Ansehen ihres Mannes. Sie durfte in ihrer zweiten, fast langweiligen Lebenhälfte unbedeutende Ehrenämter bekleiden als Mitglied im chinesischen Beraterparlament oder in der Frauenliga.
Ihr erstes, 47 Jahre währendes Leben dagegen, das bis zum Triumph ihres Mannes an der Seite Maos 1949 in Peking reichte, darf ohne weiteres als ein großes, historisches Frauenschicksal im China des letzten Jahrhunderts gelten.
Als Untertan der Mandschu-Dynastie kam Chen Zongjin zur Welt, als Tochter armer, aber gebildeter Eltern. Sie banden ihrer Tochter traditionell die Füße. Das willenstarke Kind zerschnitt zwar die Fesseln, bevor sich vollends Klumpfüße bilden konnten. Dennoch blieb eine Verkrüppelung zurück. Als Baby schon war Chen Zongjin zur Heirat versprochen. Mit 12 wechselte sie in den Haushalt dieser Familie über, mit 24 Jahren heiratete sie. Obwohl es eine arrangierte Ehe war, stellte sich dennoch als haltbar, sogar ideal heraus: Ihr Ehemann Ren Bischi, während der 20-er Jahre in der kommunistischen Jugendbewegung aktiv, war selbstbewusst genug für seine starke Frau. Sie rettete ihn mehrfach, sie beschützte ihn auch 1927, während der blutigen Kommunistenjagden Tschiang Kaischecks. Sie organisierte den Schutz während seiner Parteireisen. Für ihren Mann setzte sie auch ihre Kinder aufs Spiel. Das Erstgeborene ließ sie bei Bauern zurück, zwei weitere waren den Strapazen ihres kämpferischen Lebens nicht gewachsen, ein weiteres starb, als sie eine winterliche Zugfahrt im offenen Kohlewaggon unternahm, um ihrem Mann vor Gericht ein Alibi zu verschaffen.
Das nächste Kind kam 1931 zur Welt. Es verbrachte das erste Lebensjahr mit seiner Mutter im Gefängnis.
Drei Jahre später rückte Chen Zongjin unter die 2.000 Frauen ein bei Maos Langem Marsch der 60 000 chinesischen Kommunisten: Eine Strecke durch China, 12 500 Kilometer, zu Fuß, in zwei Jahren. Außer Chen Zongjin hat kaum eine andere Frau diesen Marsch überlebt. Ein Pferd bekam sie erst, als sie wiederum hochschwanger war. Ein Jahr nach Maos Sieg zog Chen Zongjin nach Moskau, ihr Mann repräsentierte dort in der Kommunistischen Internationale die chinesische KP. Sie entband in Moskau ein achtes Kind - und ließ es im Krankenhaus zurück. Ihr Mann war nach China zurückbefohlen worden. Sie folgte ihm blind und sofort - ihm und der Partei. Thomas Delekat
Chen Zongjin, Revolutionärin, geboren im Januar 1902 in der Provinz Hunan, starb 101-jährig am 31. Mai in Peking.
Artikel erschienen am 21. Jun 2003 in DER WELT
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