ich möchte mich mit einer für mich sehr schwierigen Situation an Sie wenden und hoffe, dass Sie mir weiterhelfen können.
Ich bin inzwischen seit ca. 8 Jahren mit meinem Freund zusammen. Die Beziehung war anfangs toll, nach ca. einem halben Jahr haben sich aber gewisse Muster eingeschlichen, die wir über die ganzen Jahre nicht wirklich überwunden haben.
Er ist an sich ein lustiger, toller Kerl. Man kann viel mit ihm unternehmen und er ist sehr liebevoll, man kann ihm vertrauen. Er sagt mir nach all den Jahren noch täglich, dass er mich liebt, nimmt mich oft in den Arm und ist einfach ein warmer Mensch. Vor Freunden, Kollegen usw. steht er sehr zu mir und stellt mich stolz als seine Freundin vor. Das ist seine eine Seite, die ich extrem an ihm schätze. Auf der anderen Seite ist er aber leider auch sehr impulsiv und schnell aufbrausend. Er kann wegen Kleinigkeiten extrem genervt reagieren und aus der Haut fahren. Er wird dann schnell sehr beleidigend. Dabei ist er natürlich nie handgreiflich geworden, das wäre für mich ein absolutes No-Go, aber er kann in seiner Wortwahl sehr verletzend sein. Es fallen dann schnell Worte wie „bist du behindert“, „bist du beschränkt“, „kannst du nicht denken“, „du bist wie ein kleines Kind“, „leck mich“ oder ähnliches.
Um die Situation zu verdeutlichen möchte ich als Beispiel ein paar einzelne Situationen beschreiben:
- Wir haben zum Beispiel beim Umzug den Fernseher aufgebaut. Da konnte ich ihm wirklich nichts recht machen und er wurde sehr beleidigend, weil ich nicht sofort den richtigen Stecker zum Anschließen gefunden habe. Er hat mich gefragt, ob ich behindert bin und ob ich eigentlich irgendwas könne. Ich wäre beschränkt usw.
- Ein anderes Mal hat die Internetverbindung des Fernsehers nicht funktioniert. Er wollte, dass ich mich darum kümmere. Ich war dann von vornherein angespannt, weil ich nicht genau wusste, was ich machen muss und er mir zugeschaut hat. Ich habe ihn gefragt, welches Kabel ich jetzt ziehen muss und er hat nur in sehr aggressivem Tonfall immer wieder gesagt „Zieh das Kabel, zieh das Kabel, zieh das Kabel“. Ich hatte ihn ja gefragt, welches Kabel. Er hat in immer aggressiverem Ton einfach den gleichen Satz wiederholt. Ich bin mir vorgekommen wie ein gemaßregeltes Schulmädchen, das sich zu blöd anstellt. Es ist natürlich schon dämlich von mir, dass ich mir nicht sicher war, welches Kabel das richtige ist. Das ist ja schon peinlich zu schreiben. Aber ich bin generell ganz bestimmt nicht dumm und wuppe in unserer Beziehung vieles, was er nicht so gut kann und das weiß er. Auch wenn mein Verhalten dämlich war, kann es doch nicht sein, dass man sich einen solchen Fehler nicht erlauben darf und sich dann gleich als dumm bezeichnen lassen muss.
- Ein anderes Mal sind wir zusammen joggen gegangen, ich bin kurz stehen geblieben, weil ich mich bezüglich des Weges vergewissern wollte. Er hat mich sehr böse und laut deswegen angefahren und ist einfach weitergejoggt, sodass wir fast den gesamten Rest der Strecke einen Abstand zwischen uns hatten. In dieser Situation war er vermutlich sauer, weil er dachte, dass das Erkundigen nach dem Weg eine faule Ausrede war und ich einfach eine Pause einschieben wollte (Sport ist ihm sehr wichtig). Oder er war genervt, dass ich überhaupt nach dem Weg schauen musste, weil wir die Strecke schon ein paar Mal gelaufen sind.
- Ich habe eine enge Beziehung zu meiner Familie und das findet er nervig. Ich habe zum Beispiel mal meiner Schwester eine WhatsApp geschickt, obwohl wir davor telefoniert hatten (ich hatte vergessen ihr etwas zu sagen). Dann sagt er: „Das ist doch krank bei euch“.
Er hat also sehr gegensätzliche Charaktereigenschaften und das war über all die Jahre die Krux. Seine gute Seite ist wirklich toll und wir hatten sehr schöne Stunden zusammen. Der aufbrausende Teil von ihm hat mich dagegen oft verletzt. Es war aber nie ein so extremer Ausbruch dabei, dass ich mich getrennt hätte. So zogen also die Jahre dahin und ich war gefangen in einer üblen Beziehungsambivalenz. Wir haben sehr, sehr oft über unsere Probleme gesprochen und ich habe ihm auch oft deutlich gemacht, dass ich ein Problem mit seinem Verhalten habe, das hat aber all die Jahre nicht viel gebracht. Es war ein Teufelskreis aus dem wir nicht entkommen sind. So wenig er es geschafft hat, seine Launen in den Griff zu bekommen, so wenig habe ich es geschafft ihn weniger zu nerven.
Obwohl ich sehr an ihm hänge, hatte ich innerlich aber schon immer wieder das Gefühl, dass ich wohl besser gehen sollte. Trotzdem lief die Beziehung weiter, ich konnte es dann doch nicht. Inzwischen haben wir uns sogar eine Immobilie gemeinsam gekauft, Kinder haben wir aber noch keine.
Wir haben uns mal kurzzeitig getrennt, sind dann aber wieder zusammengekommen. Geändert hat sich danach nicht viel. Anfang des Jahres war die Stimmung insgesamt wieder eher schlecht und wir hatten viele Auseinandersetzungen. Ich hatte mich inzwischen auch innerlich von der Beziehung distanziert und war zu dem Schluss gekommen, dass es nicht mehr funktionieren konnte. Nach einer neuen Auseinandersetzung habe ich dann gesagt, dass ich glaube wir haben so keine Zukunft mehr. Er wollte so schnell nicht aufgeben und bat mich, dass jeder nochmal mit Gewichtung in einer Liste aufschreibt, was für ihn nicht geht und was der andere ändern muss. Seine Punkte, die er an mir geändert haben wollte, waren aus meiner Sicht nicht dramatisch. Etwas mehr Engagement im Haushalt (z.B. keine Wäsche auf der Box ablegen, mehr Bereitschaft spontan noch einkaufen zu gehen), rationaleres, organsierteres Vorgehen in einigen Belangen. Dinge die ich relativ gut verbessern kann. Meine Punkte an ihn waren in erster Linie, dass er mich nicht beleidigen darf, nicht so aufbrausend sein darf und geduldiger im Umgang mit meiner Familie sein muss. Das war also nichts neues für ihn, wir haben ja schon 100 mal darüber geredet.
Seit dieser Aussprache – das war vor ca. zwei Monaten – läuft es tatsächlich besser. Die Beziehung ist, außer ein paar kleinen Auseinandersetzungen, aktuell sehr harmonisch. Und jetzt kommen wir zum Punkt: Eigentlich sollte es mir doch nun besser gehen und ich sollte den aktuellen Frieden genießen. Tatsächlich geht es mir aber nicht gut. Ich war gerade, nach all den Jahren, endlich zu einem Entschluss gekommen und dann dreht sich wieder alles um 180 Grad. Ich kann einfach nicht so richtig glauben, dass nach 8 Jahren hin- und her jetzt auf einmal alles anders ist, weil wir ein paar Punkte fixiert haben. Das haben wir davor auch schon oft besprochen (nur vielleicht nicht aufgeschrieben). Ich kann den Frieden nicht genießen, weil ich denke, dass ich nur Zeit verliere und der nächste große Krach unweigerlich folgt. Er würde mir tatsächlich einen gefallen tun, wenn er weiterhin mit mir streiten würde. Dann hätte ich endlich Klarheit und ohne Klarheit werde ich demnächst verrückt…
Ich habe nun also folgendes Problem:
Ich bin inzwischen 31 und mir rennt die Zeit davon. Sich jetzt zu trennen, das Haus zu verkaufen und wieder von vorne anzufangen, wäre irgendwie wahnsinnig. Ich hatte ja schon mit 27 Angst, dass ich nicht mehr rechtzeitig jemanden finden würde, mit dem ich Kinder bekommen kann. Allerdings so weiterzumachen und sich nie sicher zu fühlen mit der Beziehung, ist auch nicht gut. Nicht unbedingt die Basis zum Kinderkriegen.
Eigentlich wollen wir dieselben Dinge. Wir haben gemeinsam ein Haus, wir wollen eine Familie und wenn es nach ihm geht, würden wir lieber heute als morgen Kinder bekommen. Er hat dieselben Wertevorstellungen wie ich. Wir sind routiniert miteinander, haben denselben Humor und haben beide vernünftige Jobs. Die Rahmenbedingungen würden also passen und mir ist klar, dass man das nicht so schnell wiederbekommt. Wenn ich jetzt aufgebe, kann es sein, dass ich niemanden mehr finde, der so zu mir passt und das vor allem noch rechtzeitig, um Kinder zu bekommen. Zumal in meinem Alter nun mal viele Männer, die verlässlich sind, schon in festen Beziehungen sind.
Deshalb bereue ich aktuell auch so bitter, dass ich mich nicht schon vor einigen Jahren getrennt habe. Damals hätte ich noch Zeit gehabt. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass es die bessere Entscheidung gewesen wäre, früher schon zu gehen und zwar ganz unabhängig davon, ob diese Entscheidung nun richtig oder falsch gewesen wäre. Sie hätte mir aber heute diese furchtbare Ambivalenz erspart, die mich wirklich noch wahnsinnig macht.
Haben Sie irgendeinen Tipp für mich, wie ich mit der Situation umgehen kann oder wie sehen Sie die beschriebene Situation? Ich habe mir schon viele Gedanken gemacht, Listen geschrieben und Ratgeber gelesen aber wirklich weitergekommen, bin ich bisher nicht. Ich glaube ich brauche einfach jemanden, der mir eine objektive und ungeschönte Einschätzung der Situation gibt. Ich kann langsam nicht mehr klar denken, was dieses Thema betrifft. Kann es so funktionieren oder ist es besser nochmal von vorn anzufangen?
Ich möchte Ihnen bereits im Voraus für Ihre Antwort herzlich danken.
Viele liebe Grüße,
Tintin
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