Es ist recht kompliziert, ich weiß kaum wo ich anfangen soll und ich bin auch selbst recht durcheinander. Aber ganz unten kommt eine ganz konkrete Frage - danke für eure Geduld!
Ich (31) bin mit meiner Freundin (33) seit 6 Jahren zusammen wir sind verlobt, haben einen 5 Monate alten Sohn und leben in Berlin. Unsere Beziehung war immer recht turbulent, wir haben hart daran gearbeitet, haben gemeinsam Bücher über Kommunikation in Beziehungen gelesen, Kompromisse geschlossen, und als sie vor einem Jahr schwanger wurde war die Beziehung sehr schön und schon längere Zeit stabil.
Wir sind eigentlich so unterschiedlich, wie man nur sein kann, was ich aber auch immer als große Bereicherung und große Chance gesehen habe an einander zu wachsen. Sie ist autodidaktische Modedesignerin mit einer kleinen Ausbildung, studiert jetzt im 5. Semester Sozialpädagogik. Ich bin Berufsmusiker, habe in Amsterdam Jazz studiert, als wir uns kennenlernten und ich versuche seither Beruflich auf die Füße zu kommen. Ich stamme aus einer "heilen" Familie, habe 2 Geschwister und bin ein verzogenes Wohlstandskind. Sie ist ein Scheidungskind, ist mit 16 in ein besetztes Haus gezogen und hat 10 Jahre lang radikale Frauenpolitik gemacht und sie hasst ihren sog. Ex-Vater der ein Trinker war. Auch wenn Sie inzwischen vergleichsweise gemäßigt unterwegs ist, so hat sie noch immer ein recht ausgeprägtes Männer-Feindbild und ein außergewöhnliches Temprament, aber damit kann ich inzwischen eigentlich gut umgehen. Sie hatte - nicht zuletzt deswegen - immer schon so ihre Problem mit meinem Beruf, unsicheres Einkommen, viel unterwegs, vor allem Abends und am Wochenende und dann immer in irgendwelchen Clubs und Kneipen,wo geraucht wird und gesoffen und sie ist profilaktisch Eifersüchtig wegen der Groupies, dabei bin ich in meinem ganzen Leben nur einmal Fremdgegangen, und das war lange vor ihrer Zeit. Sie leidet - das sagt sie auch selber - unter großen Verlustängsten. Darum "durfte" ich auch von Anfang an in keiner Band spielen in der es Frauen gab. Sie selbst hat zu Musik sehr wenig Zugang und wie ich glaube auch gewisse Komplexe deswegen. Einer unserer ersten Dialoge war "Ich studiere Jazz" - "Ich hasse Jazz". Inzwischen mag sie Jazz wohl ganz gern :-). Sie hat mich als Musiker zwar auch unterstützt, doch auf der anderen Seite hat sie sich immer wieder beklagt, und ich stand bei jeder Handlung als Musiker im Rechtfertigungszwang, was mich nach und nach so weit demoralisiert hat, dass ich meine Tätigkeit als Musiker inzwischen fast vollständig eingestellt habe. So leben wir zur Zeit von Bafög und Hartz IV. Ich bin hochgradig Sehbehindert und darum nicht in der Lage mal eben irgendwelche Jobs anzunehmen - eigentlich überhaupt nicht. Ich bin ganz gut in Webdesign, doch um das Hobby zum Beruf zu machen müsste ich noch sehr viel Lehrzeit investieren, außerdem will ich das Beruflich gar nicht machen, denn 1. bekomme ich davon auf dauer körperliche Beschwerden wie Gleichgewichtsstörungen, Kopfschmerzen, innere Unruhe und Schlafstörungen, und 2. ist es die einsamste Tätigkeit der Welt,es ist so unwirklich die ganze Zeit irgendwelche hochkomplizierten Scripte in diese Kiste zu hacken und dabei jeden Bezug zur Außenwelt und zu nicht-virtuellen Menschen zu verlieren.
Doch sagte Sie mir vor einem Monat, dass Sie mit mir als Musiker keine Familie Gründen kann, dass es sie kaputt mache und ich solle mich auf das Webdesign konzentrieren. Da ich sie noch immer sehr liebe, und unseren Sohn auch habe ich "Ja" gesagt und gleich einen kleinen Auftrag angenommen. Aber die Arbeit macht mich total kaputt. Ich leide seit dem unter schweren Depressionen und spiele des öfteren mit Selbstmordgedanken. Ich wollte mein Leben lang nie etwas anderes werden als Musiker. Das hat sie natürlich auch gemerkt, wir haben darüber gesprochen. Sie hat gesagt, wenn ich auf mein Musikersein niocht verzichten könne, dann müsse ich eben gehen, so als ob es ihr auch gar nichts ausmachen würde. Manchmal kommt es mir so vor als würde sie sich eigentlich trennen wollen, und als würde sie mich deshalb dazu treiben, das ich das tue. Sie will mich nicht "in Ketten legen" das wiederspricht ihrem Freiheitsgedanken. Ist das nicht total widersprüchlich? Normalerweise ist ihre politische und soziale Ethik ein unantastbares Gut, was unseren Altag auch stark dominiert. "Politik beginnt in den eigenen vier Wänden" hat sie mir früher immer geprädigt.
Sie will einen Internetshop für ihr Modedesign und ich soll den Programmieren. Sie stellt dabei natürlich höchste Ansprüche an die Qualität und die Einzigartigkeit des Designs, sprich alles von Hand machen. Nicht das mich das in meinen Fähigkeiten überfordern würde, aber für einen Hobbywebdesigner wie mich sind das ohne Übertreibung an die 500-700 Stunden Arbeit. Ich habe das Ding schon vor mitlerweile eineinhalb Jahren zu ungefähr 80% fertiggestellt, damals fingen dann auch meine oben geschilderten Beschwerden an. seitdem ist das eine von zig offenen Baustellen. Dann kam die Schwangerschaft und die Geburt unseres Sohnes. Wir mussten eine größere Wohnung suchen in einem besseren Wohnbezirk. Im November erlitt meine Mutter einen schweren Schlaganfall von dem sie sich nur langsam erholt. Gleichzeitig stellte das Jobcenter die Zahlungen ein, ich hätte angeblich den Fortzahlungsantrag nicht abgegeben, und so wird der eigene Druck finanziell auf die Füße zu kommen natürölich immer größer. Seit dem reißt auch die Pechstrene irgendwie nicht mehr ab.
Mit Leistungsdruck hab ich schon immer große Probleme gehabt. Ohne Druck bringe ich imense Leistungen, aber wenn der Druck kommt dann werde ich letargisch, unkonzentriert, ängstlich und will nur noch weglaufen. Leistungsdruck kommt auch in der Beziehung von meiner Freundin. Wenn ich die häuslichen Pflichten vernachlässige ist das ein politisches Vergehen, und Sie hat sowieso ein Talent dafür zu fordern und zu fordern und zu fordern und dabei völlig außer acht zu lassen das der Tag nur 24 Stunden hat. "Wir müssen öfter Staubsaugen" "Wir müssen viel mehr zusammen unternehmen - Kino, am Wochenende raus in den Wald" "Wann machst Du endlich Meinen Internetshop fertig" "Du musst heute den Kleinen sitten, ich muss eine Hausarbeit schreiben" "Wolltest du Dich nicht um Auftritte bemühen" "Du musst für's Jobcenter Bewerbungen schreiben" "Gehst Du bitte einkaufen" "Magst du bitte was kochen" etc. pp. Ich konnte mal gut kochen, aber unter diesem Druck ist es immer versalzen, oder sch... gewürzt oder die Nudeln zu weich oder oder oder... ja ich hör ja schon auf zu leiden; aber als ich an dem Webdesignauftrag saß hat war sie auch nicht erbaut darüber mich 14 Std. am Tag nur von hinten zu sehen, aber sonst hätte ich das ding niemals fertig bekommen.
Jetzt sieht es so aus, dass Sie mit unserem Sohn für vier Wochen zu ihrer Mutter nach Köln fährt, damit ich Zeit habe herauszufinden, was ich wirklich will (Sie muss da nicht mehr drüber nachdenken, hat sie schon *räusper*).
Wenn ich mich jetzt Trennen würde, dann würde ich nach Hamburg zurückgehen wo ich aufgewachsen bin und noch einen beachtlichen Freundeskreis habe. In Hamburg hätte ich viel bessere Chancen als Musiker, weil ich dort a) viel mehr Kontakte habe und b) die Menschen in Hamburg mehr Geld haben als in Berlin, Musiker - deren Dienstleistung ja ein reines Luxusgut ist - werden dort nicht nur öfter bezahlt, sondern auch besser, ich kenne einige die gut davon Leben können, die kenne ich in Berlin nicht. Aber meine Freundin hasst Hamburg und die nordische Mentalität und sie kommt auch nicht besonders gut auf meine Familie klar die da wohnt. Wir haben nämlich schon lange vorghabt aus Berlin wegzugehen, zu groß, zu anonym, die Menschen zu kaputt, zu arm und vor allem zu laut, aber in Hamburg würde sie eben nicht glücklich werden, obwohl ich schon lange zurück möchte. Der Gedankejetzt wieder allein nach Hamburg zu gehen reizt mich sehr - auf der einen Seite. Auf der anderen tut mir der Gedanke wahnsinnig weh. Wir waren mal so ein gutes Team, Sie ist nämlich nicht nur der schrecklichste Mensch der Welt sondern auch der Lustigste und der Liebevollste, und an Erotik mangelt es der Beziehung auch mit nichten. Aber viel schlimmer ist das schlechte Gewissen sie mit dem Kind sitzen zu lassen, als Vater versagt zu haben, nicht mal in der Lage zu sein als 31 Jahre alter Mann ein Familienvater zu sein, die natürlichste Sache der Welt, ich fühle mich echt Minderwertig, unfähig und der gleichen, was eigentlich der Hauptauslöser für meine Suizidgedanken ist. Die Schuldgefühle, dass ich ihr Leben und das unseres Sohnes zerstöhrt habe, weil ich nicht so sein konnte wie sie es braucht - verrückt oder?
Als das Kind kam erschien mir auf einmal alles was ich bis dahin getan habe banal im vergleich zu der Aufgabe die vor uns lag; und ich liebe unseren Sohn so sehr. Die Vorstellung nicht dabei zu sein wenn er anfängt zu Krabbeln, das erste mal aufsteht, sein erstes Wort sagt - das bricht mir das Herz. Aber ich merke auch wie er unter der momentanen Situation leidet, Ich wünsche mir so sehr für ihn in einer Glücklichen Familie aufzuwachsen, aber vielleicht sollte ich auch gerade deswegen gehen. Denn hier sieht es irgendwie so aus als würde das Glück nicht wiederkehren. Wir hatten wirklich viel und sehr häftige Krisen, und wir sind an jeder von ihnen gewachsen und gereift, aber diesmal ist es anders. Die Dinge sind endgültiger als früher. Hier fliegt kein Geschirr mehr, nur kühle Worte und heiße Tränen. Die Vorstellung wieder diesen "Banalitäten" nachzugehen die früher mein Leben bedeutet haben erscheint mir irgendwo auch sooo sinnlos.
Ich könnte noch viel erzählen, aber ihr könnt mich auch gern Sachen fragen. Mein größtes Problem ist nämlich gerade, dass ich hier niemanden habe mit dem ich darüber reden kann. Das Verhältnis zu meiner Familie ist kompliziert geworden, und meine guten Freunde sind alle auf Reisen. Ich brauche aber ganz dringend Input bzw. Feedback von außen, damit ich mich nicht total Also frage ich euch:
Für mich sieht es so aus, als müsste ich mich entscheiden ob ich lieber mich selbst aufgeben möchte, oder meine Familie. Im Moment tendiere ich die meiste Zeit zu letzterem. Vielleicht kann mir einer von euch klarmachen das ich da falsch liege, also mit der Einschätzung meiner Situation als entweder-oder, das wäre das beste, aber was würdet ihr an meiner stelle tun? Ich bin wirklich vollkommen verzweifelt und am Ende.
Liebe Grüße, Nils.
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