vor knapp 6 Jahren hat sich meine Mutter das Leben genommen. Ich war da 28 Jahre alt.
Sie hat sich in meinem Elternhaus, in meinem alten Kinderzimmer, erhängt und vorher noch 86 Tabletten geschluckt. Während sie ins Koma gefallen und an dem Strick um ihren Hals erstickt ist, hat sie die ganze Zeit die Fotos von meinem Papa, meinem Bruder und mir vor der Nase gehabt. Sie hat sich extra die Fotos herum gedreht damit sie uns sehen kann.
Mein Vater hat sie gefunden und vom Strick befreit. Ich habe meine Mutter nicht mehr gesehen.
Als ich die Nachricht vom Tod meiner Mama bekam, war ich am Boden zerstört und tief traurig. Ich dachte zuerst, sie wäre abends ins Bett gegangen und morgens nicht wieder aufgewacht.
Eine Freundin hat mich dann zu meinem Vater gefahren. Erst als ich bei ihm war, erzählte er mir, daß sie sich umgebracht hat. Meine tiefe Trauer schlug sofort in Wut um. Warum hat sie das gemacht? Warum in unserem Haus? Ich war so wütend, daß sie es zuhause gemacht hat und mein Vater sie nur finden konnte. Ich war wütend darüber, daß sie ihm das angetan hat. Dieses Bild wird er sein Leben lang nicht aus seinem Kopf bekommen.
Ich war am überlegen, ob ich sie noch einmal in der Gerichtsmedizin sehen will, aber ich war so wütend, daß ich glaubte, ich müßte ihr eine Ohrfeige verpassen und sie anschreien. Ich habe sie nicht mehr gesehen...
1 1/2 Wochen nach ihrem Tod habe ich wieder angefangen zu arbeiten.
Die Frage nach dem "Warum" habe ich mir seit der Trauerfeier nicht mehr gestellt. Der Redner sagte in seiner Rede, daß sie es so wollte und keiner hätte sie aufhalten können. Wäre es nicht an dem Tag passiert, wäre es der nächste gewesen. Das leuchtete mir ein. Ich habe es so akzeptiert.
Meine Mutter war ein so lebensfroher Mensch. Ich sollte sie für den Redner mit einem Wort beschreiben: Kummerkastentante!!! Sie hatte für jeden ein offenes Ohr und stand mit Rat und Tat zur Seite. Sie hat nie ein Geheimnis und Besprochenes an andere weiter gegeben. Sie hat immer nur gelacht.
Durch meine Arbeit in einer Arztpraxis war es mir möglich sämtliche Neurologen der Stadt anzurufen und zu fragen, ob meine Mutter dort in Behandlung war. Sie war es nicht. Ich hatte gedacht, ich komme so vielleicht auf die Spur, daß sie Depressionen gehabt haben könnte und uns nichts davon erzählt hat. Aber nichts!!!
Sie hatte für alle ein offenes Ohr, aber sie hat sich niemandem anvertraut.
Ich weiß nicht, warum ich euch das alles schreibe.
Vielleicht ist es einfach, weil sie mir so schrecklich fehlt. Und ich möchte vielleicht nur von irgend jemandem, der auch so eine Erfahrung gemacht hat hören, daß der Schmerz, der in einem ist bald schwächer wird. Hört es jemals auf so weh zu tun?
Seit ihrem Tod habe ich mal gute und mal schlechte Tage. An schlechten Tagen weine ich aus heiterem Himmel. Z.B. vorletzten Samstag. Es lief "Wetten dass". Ich saß auf dem Sofa und löffelte meinen Joghurt. Aus heiterem Himmel liefen mir Tränen über das Gesicht. Es gab dafür überhaupt keinen Grund. So etwas passiert mir mehrmals im Monat.
Ich frage mich mitlerweile, ob das immer noch eine Art der Trauerverarbeitung ist oder ob ich vielleicht doch schon eine kleine Depression entwickelt habe... Eine Psychotherapie habe ich nie gemacht und in einer Selbsthilfegruppe war ich auch nie. Ich bin dann doch eher der Typ "harte Schale, weicher Kern".
So, das war jetzt ganz schön viel Text, aber ich mußte mir das mal von der Seele schreiben.
Vielleicht hat ja jemand ähnliche Erfahrungen gemacht. Würde mich freuen, wenn mir jemand dazu etwas schreiben kann.
LG anika77
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