Schwangerschaft und Geburt
Vor der Schwangerschaft mit Niclas hatte meine Frau eine Totgeburt im 6. Schwangerschaftsmonat (Syndrom der kurzen Nabelschnur). Die anschließende Schwangerschaft mit Niclas verlief völlig unproblematisch. Lediglich die Geburt war nicht lehrbuchkonform. Sie wurde nach einer 14-tägigen Zeit des Übertragens durch Zäpfchen und Wehentropf künstlich eingeleitet. Zwischendurch wurde angedacht doch einen Notkaiserschnitt durchzuführen, da die Herztöne von Niclas gelegentlich schlechter wurden. Nachdem nach endlosen 22 Stunden der Kopf bereits das Licht der Welt erblickt hatte wurde der Rest des Kinderkörpers mehr oder weniger ?herausgerissen?.
Gewicht 3.510 g, Größe 57 cm, Kopfumfang 37 cm, APGAR 10 10 10
0 ? 3 Jahre
Danach fing alles damit an, dass unser Sohn mit extremem Speichelfluss zu kämpfen hatte. Es war teilweise so schlimm, dass wir stündlich sein Halstuch wechseln mussten. Im weiteren Entwicklungsverlauf (bis 2. Lebensjahr) stellten wir fest, dass die Sprachentwicklung bei Niclas einfach nicht einsetzte. Im Rahmen der U-Untersuchungen wurden jedoch keine Auffälligkeiten festgestellt. Weiterhin war (und ist!) Niclas ein absolutes Schmusekind. Er braucht zwar nicht ständig Körperkontakt, aber ständig eine Bezugsperson. Alleiniges spielen oder konsequentes Spielen mit ein und demselben Spielzeug über eine zeitlich längere Distanz war und ist nicht möglich. Statt wie andere Kinder seines Alters anzufangen erst über Laute, einzelne Wörter und anschließend über mehr oder minder vollständige Sätze mit uns zu kommunizieren nutzte er ausschließlich Laute und Gesten. Der Kinderarzt beruhigte uns mit dem Hinweis, dass die Entwicklung bei manchen Kindern einfach etwas später einsetzt und sah unsere Hinweise als verfrüht an. Motorisch gab es keinerlei Einschränkungen. Hier war ein völlig normaler Entwicklungsverlauf erkennbar.
Nachdem nach Monaten immer noch kein Fortschritt bei der Sprachentwicklung erkennbar war, vereinbarten wir eigenmächtig einen Termin in der Klinik für Kommunikationsstörungen der Universitätsklinik Mainz. Hier wurde festgestellt, dass organisch keine Defizite bestehen. Das Sprachverständnis war ebenfalls altersgerecht. Lediglich die Sprachbildung war auf einem absolut unterdurchschnittlichen Niveau.
Diagnose: Auditive Wahrnehmungsstörung und Entwicklungsverzögerung.
Auch mehrere Termine bei einer ortsansässigen HNO-Ärztin ergaben keine greifbare Diagnose. Die Empfehlung Niclas mit ergotherapeutischen Maßnahmen zu unterstützen setzten wir unverzüglich um (2,5. Lebensjahr). Im Verlauf der wöchentlichen Therapie besserte sich die Problematik in Bezug auf den Speichelfluss. Auch die Konzentrationsschwierigkeiten besserten sich etwas. Die Verständigung war nun teilweise zumindest über einzelne Worte möglich wobei hierbei festzustellen war, dass diese gelegentlich nicht ?abgerufen? werden konnten. In solchen Situationen nutzte Niclas dann die altbewährten Laute und Gesten. Im Rahmen der Therapie wurde weiterhin festgestellt, dass eine Fehlfunktion beider Gehirnhälften vorlag. Dies würde sich aber erfahrungsgemäß im Laufe der Jahre normalisieren.
3 ? 6 Jahre
Niclas wurde von uns in einem ?normalen? Kindergarten angemeldet. Die Kommunikationsdefizite verursachten weniger Probleme mit den Erzieherinnen als mehr mit den anderen Kindern. Teilweise wurde Niclas aufgrund seiner Probleme beim Spielen ausgegrenzt. Da er sich und seine Gefühle nicht ausdrücken konnte, legte er gelegentlich ein aggressives Verhalten an den Tag. Aufgrund des kontinuierlichen Dialogs mit den Erzieherinnen konnte diese Situation jedoch entschärft werden. Im Alter von dreieinhalb Jahren wurden die ergotherapeutischen Maßnahmen ausgesetzt und eine logopädische Therapie begonnen. Die Fortschritte waren bereits nach kurzer Zeit erkennbar wobei anzumerken ist, dass die Wortwahl und der Satzbau nie ?normal? war und ist.
Die weitere Entwicklung im Kindergarten war ?bis auf die bereits erwähnte Einschränkung im Bereich der Kommunikation- relativ normal. Wir und die Erzieherinnen stellten jedoch fest, dass Niclas immense Probleme bei der Unterscheidung von Farben und Formen hatte. Da Niclas ein ?Kann-Kind? ist verzichteten wir aufgrund der vorgenannten Probleme auf eine Einschulung im Alter von 6 Jahren. Die Therapie wurde bis zum Alter von 6 Jahren fortgesetzt. Defizite im Bereich der Kommunikation, Konzentration und der allgemeinen Intelligenz bestanden und bestehen jedoch immer noch.
Im Rahmen der Schuluntersuchung wurde angeraten ein sonderpädagogisches Gutachten erstellen zu lassen. Hier wurden die vorgenannten Probleme ebenfalls noch einmal festgestellt und bestätigt. Weiterhin wurde im Rahmen eines Intelligenztests festgestellt, dass der Gesamt-IQ von Niclas unter Berücksichtigung allgemeiner Messungenauigkeiten bei knapp 80 Punkten liegt. Daraus resultierend wurde die Empfehlung ausgesprochen Niclas in einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen einzuschulen. Dieser Empfehlung sind wir nachgekommen, da auch wir festgestellt haben, dass Niclas den Anforderungen einer ?normalen? Grundschule nicht gerecht werden kann.
Seit Sommer 2004 ist Niclas nun in der genannten Schule. Das Lerntempo ist angemessen und wird individuell auf die Fortschritte von Niclas angepasst. Wir hoffen, dass Niclas irgendwann seinen Hauptschulabschluss erlangen kann und anschließend einen Beruf erlernt.
Weitere Informationen
Abseits der wirklich trockenen Schilderung muss angemerkt werden, dass Niclas in einem völlig normalen Umfeld aufwächst. Ich selbst bin leitender Angestellter, meine Frau seit der Geburt von Niclas Hausfrau. Niclas hat noch einen zwei Jahre jüngeren Bruder der sich normal entwickelt. Wir leben auf dem Land in einem Reihenhaus mit sehr viel Platz und unternehmen in unserer Freizeit viel mit den Kindern. Unser soziales Umfeld ist ebenfalls überaus gefestigt. Niclas bekommt viel Liebe und Aufmerksamkeit. Seine ?Behinderung? wird offen kommuniziert. Niclas wird bei keinen Aktivitäten ausgeschlossen oder zurückgesetzt. Heute sind wir in der Lage relativ normal mit Niclas zu sprechen. Der Satzbau und die Wortwahl sind jedoch sehr gewöhnungsbedürftig. In der Schule macht man uns keine besonders großen Hoffnungen, dass es mittelfristig einen überdurchschnittlichen Leistungsschub geben wird. Vielmehr werden hier ?was zu befürchten war- die Feststellungen aus dem sonderpädagogischen Gutachten bestätigt
Es fällt oft sehr schwer sich in Niclas? kleine Welt hineinzudenken und zu verstehen, was er gerade warum macht. Es gelingt uns ehrlich gesagt nur teilweise. Die wechselnden Launen zu ertragen ist auch nicht immer einfach. Wenn wir - was Phasenweise auch geschieht - überhaupt nicht an Ihn ?herankommen? ist es fast unerträglich. Jeder Tag birgt eine neue Überraschung.
Am liebsten verbringt Niclas seine Freizeit in der Natur und mit sportlichen Aktivitäten. Campen, Tiere beobachten etc. sind seine Leidenschaften. Dabei ist er ein anderer Mensch. Wir glauben, dass dies die einzigen Momente sind in denen sein Geist frei ist. Wir erwarten nicht, dass Niclas irgendwann einen Nobel-Preis erhält. Wir wollen lediglich als Eltern sicherstellen, dass er irgendwann ein eigenständiges Leben führen kann. Wir haben uns mit der Situation abgefunden! Egal welchen Weg unser Sohn geht ... wir sind an seiner Seite.
Bis jetzt konnte uns jedoch noch kein Arzt und keine Institution eine endgültige Diagnose geben. Dem Hinweis eine grundlegende Untersuchung im kinderneurologischen Zentrum der Universitätsklinik Mainz durchführen zu lassen sind wir bis jetzt noch nicht nachgekommen. Wie oft soll sich noch ein Arzt mit dem Fall beschäftigen bis eine Diagnose steht? Ein befreundeter Heilpraktiker äußerte den Verdacht, dass es sich um eine Schwermetallvergiftung handeln könnte. Zur Zeit der ersten Schwangerschaft meiner Frau und der Schwangerschaft mit Niclas wohnten wir in einer Wohnung die auf dem Gelände einer ehemaligen Giftfabrik errichtet war. Gemäß Kaufvertrag lag jedoch zum Zeitpunkt des Kaufs keine Kontaminierung mehr vor. Diesem Hinweis sollte trotzdem noch einmal nachgegangen werden. Wir wollen Niclas die ewigen Arztbesuche in Zukunft sparen und suchen deshalb eine kompetente Anlaufstelle. Kein Flickwerk mehr, sondern eine umfassende Untersuchung der Gesamtsituation mit anschließender Diagnose.
1. damit wir Niclas auch in Zukunft optimal fördern können
2. damit wir endlich wissen was mit unserem Sohn los ist
Deshalb die Fragen:
Gibt es irgendwo ein Kompetenzzentrum für solche Fälle?
Kann man noch etwas tun um die Situation zu verbessern?
Gibt es Eltern die ähnliche Probleme mit Ihren Kindern haben?
Wenn ja, sind diese in irgendeiner Form organisiert?
Vielen Dank für Ihre Antworten!
Mfg
T. Sieben
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