Ich wohne in Österreich und absolviere derzeit eine Ausbildung zur Diplomierten Krankenschwester. Da wir zu dritt eine Präsentation zum Thema Diabetes abhalten müssen und Ihr hier viel Erfahrung mit diesem sehr umfangreichen medizinischen Beschäftigungsfeld zu haben scheint, hoffe ich, Ihr könnt uns ein paar Tipps und Rückmeldung zu unseren Gedanken geben, die wir für unsere Präsentation benötigen könnten.
Wir haben uns allgemein schon ein wenig in das Thema eingelesen und vieles bezüglich der Diagnosekriterien , -Grenzwerte und -Instrumente, die Unterschiede zwischen Typ 1 und 2, Lebensstilmodifikation als präventative Maßnahme, usw, usf. gelesen. Doch für Tipps bzw. einen kleinen Gedankenaustausch bezüglich dem glykämischen Index wären wir sehr dankbar, da es hierzu immer wieder unterschiedliche medizinische Ansichten gibt. Tatsächlich ist es so, dass wir drei den glykämischen Index entgegen fachkundiger Meinungen für wenig sinnvoll erachten. Dies müssten wir unserem Lehrer/Prüfer aber in mehr als einem Satz und vor allem mit guter Begründung erläutern (insbesondere wenn sich viele Nachfragen ergeben, auf die wir natürlich nicht hoffen ;-)). Vielleicht ergibt sich bei uns ja ein Denk-/Sinnfehler, zu dem Ihr uns aufklären könnt! :-)
Wir führen folgende Gründe an:
1. Untersuchungen, wie stark der Blutzuckerspiegel nach dem Verzehr von Kohlenhydraten ansteigt, ergaben, dass der GI von vielen Faktoren abhängt. Die Zusammensetzung mit anderen Lebensmitteln, die Verarbeitung, Zubereitung, etc. Teilweise sollen auch einzelne Ergebnisse mit den gleichen Lebensmittel, den gleichen Mengen und natürlich den gleichen Testpersonen nicht reproduzierbar gewesen sein. Diese Problematik sehen wir als schwersten Kritikpunkt an, da der GI aus unserer Sicht auf gar keinen Fall allgemin gültig zuverlässig Aufschluss über Lebensmittel gibt, die eine diabetesgerechte Ernährung passen. Die Behauptung, dass Weizenmehl durch den steileren Zuckeranstieg im Blut ungesünder als Vollkornbrot sei, wäre ja dann komplett sinnbefreit.
2. Untersuchungen mit Lebensmitteln kommen immer wieder zu anderen Schlussfolgerungen bezüglich der Werte. Manche Tabellen stufen z.B. Reis als Lebensmittel mit hohem glykämischen Index ein, andere sehen den BZ-Anstieg eher als gemäßigter an (mittlere Stufe).
Und dabei meint man heutzutage, dass der Verzehr von weißem Reis eher diabetesfördernd al s wirklich gesund sei. Na ob die Asiaten, die ja statistisch gesehen die längste Lebenserwartung haben und gar nicht selten schlanker sind als die Kollegen im Westen, das gerne hören? ;-)
3. Durch die wiederholte Verwendung gleicher oder zumindest ganz ähnlicher Bezeichnungen für verschiedene Lebensmittel wird dem Betroffenen die Auswahl der geeigneten Lebensmittel unnötig erschwert. Eine Tabelle gibt z.B. weißen Reis mit einem GI von 87, Basmati-Reis aber nur mit 50 und Langkornreis mit 60 an. Alle drei Reissorten sind weiß. Wenn der Hersteller den Reis jetzt als Basmati-Langkornreis bezeichnet, hat der Kunde erst recht ein Problem...
4. Für als allgemein ungesund angesehene Lebensmittel wurde ein niedrigerer GI ermittelt, als für Lebensmittel, die als gesund, vollwertig und/oder essentiell für eine "normale" Ernährung gesehen werden; das vor allem bezogen auf die Zubereitungsart. Pommes frittes z.B. enthalten mehr Fett, Kohlenhydrate und wurden mit ungesunden Fetten zubereitet. Dennoch hat etwa eine gebackene Kartoffel 15 GI-Punkte (78, statt 63 Punkte im Vergleich mit den frittierten Kartoffelsticks) mehr. Dennoch bezweifeln wir, dass Ernährungsberater deswegen vom Verzehr von Kartoffeln abraten. Das widerspräche auch jenen Empfehlungen, die wir alle ja schon im Biologieunterricht damals in der Schule gehört haben.
5. Die Bewertbarkeit des Blutzuckeranstiegs soll mit der Berechnung der Glykämischen Last vereinfacht bzw. verbessert werden. Dabei wird auch die Kohlenhydratmenge berücksichtigt und dann die Last für den Organismus basierend auf der jeweiligen Menge an Kohlenhydraten in einem Lebensmittel berechnet. Würde eine Wassermelone mit etwa 72 GI-Punkten zu Buche schlagen, wäre sie im hohen ("roten") Bereich und damit zu vermeiden. Werfen wir einen Blick auf die glykämische Last, wäre die Wassermelone im niedrigen ("grünen") Bereich und damit zu empfehlen. Dieses Ungleichgewicht beim GI und der resultierenden Insulinantwort bzw. der GL lässt sich aber auch umgekehrt anwenden. Lebensmittel mit einem mittleren oder hohen GI und z.B. einer mittleren GL könnten genauso hohe oder niedrige Werte wie Lebensmittel vorweisen, die als Diabetes-Risiko-senkend angesehen werden. Zudem sollten als grober Richtwert täglich etwa 150 bis 300 Gramm Kohlenhydrate verzehrt werden (wer genauere oder andere Angaben kennt, bitte schreibt sie dazu, es würde uns echt interessieren!). Auch die bekannte Ernährungspyramide stützt sich auf einen täglichen Verzehr von drei Portionen Getreideprodukten. Dass die glykämische Last hier die Kohlenhydratmenge berücksichtigt und dann je nach Menge darüber entscheidet, ob ein Produkt eher zu meiden oder für häufigen Verzehr geeignet ist, ist u. M. n. irrelevant und wenig zielführend, da auch Zuckerkranke, wenn auch in geringeren Maßen, "Treibstoff" in Form von KH benötigen. Somit könnten vorrangig nur Insulinpflichtige (vorrangig vom Typ 1) wirklich etwas mit dem GI und der GL anfangen.
6. Angaben zur Stärke des Blutzuckeranstieges wären konträr zu seit Jahren von Ärzten, Diabetologen und sonstigem medizinischem Fachpersonal abgegebenen Empfehlungen und Richtlinien zu einer gesunden Lebensweise. Klar, andere Studien bringen auch nicht selten andere medizinische Erkenntnisse ans Tageslicht und widerlegen teils zuvor gewonnene durch neue. Da z.B. Vollkornbrot und Weißbrot den nahezu identischen GI-Wert aufweisen, wäre die Empfehlung, vor allem Vollkornprodukte zu bevorzugen, für die Tonne.
7. Hohe Insulinspiegel sind als Hemmschuhe für angestrebte Gewichtsreduktionen bekannt. Da die Studienlage hierzu aber recht eindeutig ist, dass Erfolg beim Abbau von überschüssigen Kilos ausschließlich auf einer negativen Energiebilanz, nicht auf einer allgemein gesunden Lebensweise, basiert, wäre auch für dieses Vorhaben der GI komplett unbrauchbar.
So, das wären so unsere Kritikpunkte. Jetzt würden wir noch gerne Eure Meinung als Betroffene hören bzw. lesen. Richtet Ihr Euch nach dem GI/der GL? Auch nicht zu verachten: Sollten sich (auch) Gesunde für einen konstanten aber nicht zu hohen BZ-Anstieg Eurer Meinung nach, dem GI und der GL zuwenden?
Entschuldigt bitte, den etwas langen Beitrag. Wir wollten's halt nicht zu einfach machen ;-)
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