Nachts um halb eins bin ich allein.
Meine Frau schläft.
Mein Sohn schläft.
Meine Freunde schlafen.
Alles ist still.
Außer in mir drin:
Da tobt ein Kampf aus Frust, Resignation, Verzweiflung, Minderwertigkeit, Hilflosigkeit, Wut und Traurigkeit.
Tränen fließen.
Die Gefühle und der Zorn bahnen sich einmal wieder ihren Weg.
Lautstark.
Und doch möglichst leise.
Denn ich bin allein und alle schlafen. Ich möchte niemanden wecken oder stören. Oder doch: Ein Teil von mir möchte es. Ein Teil von mir ist es mal wieder leid, sich zusammenzureißen und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Einen Teil von mir kotzt das alles gerade maßlos an, daß es beinahe kein Halten mehr dagegen gibt.
Allerdings nur beinahe.
Meine Vernunft und meine Disziplin sind nach wie vor stark. Ich möchte niemanden wecken.
Nicht deswegen.
Nicht wegen etwas, das ich in den vergangenen Jahren schon so oft durchgekaut habe, immer und immer wieder.
Und doch möchte ich getröstet werden. Ich möchte hören, daß alles wieder gut wird. Daß es mir wieder gutgehen wird. Daß ich nicht minderwertig und hilflos bin.
Nun ja - ich bin nicht hilflos. Jedenfalls nicht hilfloser als jeder andere.
Aber ich fühle mich gerade hilflos. Ich bin allein, habe nur meine Gefühle, mich, meine Tränen. Das Kopfkissen noch. Um mein Gesicht darin in hilfloser Wut und endloser Traurigkeit zu vergraben, während die Tränen fließen.
"Ist es wirklich so dramatisch", frage ich mich selbst.
Eigentlich nicht... sagt ein Teil von mir. Der Teil von mir, der weiß, daß es wieder nur eine Phase ist, in der die Welt um mich herum versinkt.
Doch, ist es schon... sagt ein anderer Teil von mir. Der Teil von mir, der sieht, daß ich die "Krise" seit nunmehr fünfeinhalb Jahren immer noch nicht gemeistert habe. Der Teil von mir, der sich minderwertig und überfordert fühlt, der Teil von mir, der angesichts der Überfülle und Komplexität der an mich gestellten Aufgaben gerade im beruflichen Bereich zur Zeit einfach nur die Waffen strecken und aufgeben will. Der Teil von mir, der denkt und sieht, daß andere, die mit mir zusammen in diesem Job, in diesem Projekt und in diesem Hamsterrad insgesamt sitzen, es irgendwie gemeistert bekommen. Nicht so offensichtlich überfordert sind, den Überblick und die Zuversicht behalten. Einige mehr, andere weniger. Aber zumindest rein äußerlich scheint niemand so arg mit all dem zu hadern und daran zu verzweifeln wie ich.
Der Teil von mir, der in Erinnerung hat, daß ich mal belastbarer war, mehr den Überblick hatte, stets ansprechbar war und flott mit Rat und Tat handelte. Nun ja, fast immer... Auf jeden Fall sehr sehr viel mehr als derzeit. Sehr sehr viel mehr als nun schon seit fünfeinhalb Jahren.
Es ist zuviel. Es ist zu komplex. Für mich. Mittlerweile.
Es kostet mich Kraft. Soviel Kraft, daß ich in solchen Phasen abends einfach nur noch ins Bett will, schlafen will, ausruhen will. Anstatt noch irgendetwas schönes zur Abwechslung und Entspannung zu machen. Weil dazu die Kraft und die Motivation fehlen.
Und ich bin unzufrieden damit.
Es gelingt mir nicht, meinen Frieden damit zu schließen. Damit, daß ich nicht mehr so belastbar bin. Scheinbar. Vielleicht ist es auch gar nicht so komplex - vielleicht bin ich auch einfach nur minderwertig und aus anderen Gründen überfordert.
Aber dabei kann mir niemand helfen. Das stelle ich heute Nacht mal wieder fest, während ich laut, aber doch möglichst still in mein Kissen heule und auf die Matraze einboxe.
Vor Frust, Resignation, Wut, Zorn und Hilflosigkeit.
Ja, da ist Kraft in mir. Und eine Menge Energie. Das weiß ich, das spüre ich, und das glaube ich.
Und es macht mich zusätzlich traurig zu sehen, wie ich diese Energie, praktisch ungenutzt, einfach nur rausfließen lassen kann.
Aber zu mehr reicht meine gerade Motivation nicht mehr.
"Es wird auch wieder", weiß ein Teil von mir. Morgen, übermorgen, in einer Woche... Nein, sicher vorher schon. Und ich werde auch morgen meine Momente haben, in denen ich ehrlich und aus vollem Herzen lächeln und lachen kann. Für ein paar Minuten. Bevor die Wolken wiederkommen, die Zweifel, das schlechte Gewissen, der Frust und die Resignation. Dieser Teil weiß auch, daß auch bald wieder eine gute Phase kommen wird, in der mich meine Depressionen und das Gefühlschaos weitestgehend verschonen werden.
Für ein paar Tage. Vielleicht eine Woche, zwei. Drei, wenn ich Glück habe.
Dieser Teil weiß aber auch, daß die nächste schlechte Phase ebenfalls wieder kommen wird. Nach ein paar Tagen, längstens zwei bis drei Wochen.
Die Phase, in der ich wieder allein bin. Nachts um eins. Wenn die Gefühle überbrodeln und ich sie irgendwie verarbeitet bekommen muß bzw. möchte, um wenigstens ein kleines bißchen Frieden für ein paar Momente wiederzufinden.
Mir kann niemand weiter helfen als soweit, wie mir bereits geholfen wird.
Den Rest muß ich allein gehen. Wohin auch immer.
Tagsüber geht es. Meistens. Nicht immer.
Nachts bin ich allein.
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