ich sitze hier nun schon eine ganze Zeit und überlege, was ich schreiben soll, ob ich überhaupt schreiben soll und und und...
Am Wochenende waren meine Eltern zu Besuch. Sie wohnen weiter weg und ich sehe sie nur alle paar Monate, obwohl dazwischen natürlich telefonischer Kontakt besteht. Mit meiner Mutter habe ich gestern, ohne meinen Vater, ein sehr langes verzweifeltes Gespräch geführt, in dessen Anschluss ich ihr versprochen habe, mich zu kümmern, obwohl ich eigentlich auch nicht so genau weiß wie.
Also: Mein Vater ist 64 Jahre und schon immer ein ziemlich eigener, stolzer und distanzierter Mensch gewesen. Seine für uns herausragendste Fähigkeit war sein Orientierungssinn. Man konnte ihr Aussetzen, wo immer man wollte. Er fand von dem Punkt aus alles, was er suchte. Ist er jemals in einer Stadt gewesen, kannte er sie für immer.
In seinem jetzigen Auto hat er sich ein Navisystem gekauft. Ich war etwas irritiert, habe ihm sein neues 'Männerspielzeug' aber gegönnt und nichts gesagt.
In den letzten Jahren haben wir immer geschmunzelt, weil er nach jedem Besuch bei uns, etwas vergessen hatte, was ihm eigentlich wichtig war. Wir riefen ihn auf dem Handy an und er kam zurück, es zu holen... abgesehen von dem Mal, wo er das Handy vergessen hatte.
Im Gespräch gestern erzählte meine Mutter, dass sie immer öfter das Gefühl er habe, er würde mit einem Mal die örtliche Orientierung verlieren. Im Theater war er ganz aufgelöst, weil er nach der Pause die Plätze nicht wieder finden konnte... auf die Idee meine Mutter um Rat zu fragen, kam er offensichtlich auch nicht. Auf Fahrradtouren, wo er immer die Führung übernommen hatte und meine Mutter einfach hinterher radelte, fährt er, für meine Mutter offensichtlich, neuerdings oft völlig unsinnige Wege. Das sowohl in der Umgebung, wo sie viele Jahre leben, als auch in anderen Regionen.
Wenn er die Gelegenheit hat, lässt er ohnehin mittlerweile andere gerne solche Planungen übernehmen. Das wäre früher bei ihm unvorstellbar gewesen.
Je länger ich nachdenke, desto mehr solche Beispiele könnte ich jetzt aufzählen. Welche, die meine Mutter mir erzählt hat und auch solche, die ich selber erlebt habe. Aber bis gestern hatte das für mich wenig Bedeutung, da mein Vater eine Person ist zu der viele aufsehen. Sätze wie:'Mensch, hast du einen jungen Vater!'; 'Dein Vater ist ja noch richtig fit!' höre ich immer wieder. Tja, so sieht er auch aus... und in gewisser Hinsicht ist er ja auch noch total fit, aber da ist eben auch noch diese neue Seite, die uns im Moment so beunruhigt und auch angst macht.
Hinzu kommt, und deshalb traut sich meine Mutter auch nicht, mit ihm über ihre Sorgen zu reden, daß er in letzter Zeit wohl extrem launisch geworden ist und auch regelrechte Wutausbrüche bekommt. Für sie oft völlig unverhersehbar, aber so stark, dass sie die Beziehung der beiden extrem belasten. Sie ist ja auch alleine mit ihm. Mein Bruder und ich wohnen beide mehrere 100 km weit weg. Und ich muss ehrlich zugeben, ich traue mich auch nicht, mit ihm zu reden. In meinen gesamten 36 Lebensjahren hätte ich es nie gewagt über soetwas Persönliches und irgendwie auch Intimes mit ihm zu reden.
Was machen wir am besten? Ich bin wirklich ratlos. Ich befürchte auch, dass er sich strikt weigern wird, einen Arzt aufzusuchen.
Eigentlich wollte ich mich kurz fassen. Das ist mir wohl nicht gelungen, aber ich hätte auch noch viel mehr schreiben können.
Herzlichen Dank für Antworten!
Norden
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