Mittlerweile ist das aber nicht mehr so und die Lage wird immer belastender für uns beide. Es fing damit an, dass mich vor wenigen Wochen Nachbarn darüber informierten, dass meine Mutter mindestens eine halbe Stunde lang geschrien und gerufen habe. Auch auf Ansprache sei sie nicht zur Ruhe gekommen und hätte aggressiv reagiert. In letzter Zeit haben sich folgende Schwierigkeiten herauskristallisiert:
• Meine Mutter erkennt mich nicht mehr, auch nicht unsere Wohnungen (Sie hat schon mehrmals versucht, unsere Namensschilder mit Kugelschreiber zu übermalen.). Sie hat kein Kurzzeitgedächtnis mehr. Ich bin ihr zwar vertraut und wir können herrlich miteinander lachen, aber sie möchte permanent „nach Hause“. Sie fragt ständig nach einem Bus oder „bekniet“ mich, dass ich sie „nach Hause“ (ihr Elternhaus in Ostpreußen) fahre oder ihre längst verstorbene Schwester anrufe. Das artet oft in handfeste Drohungen und Beschimpfungen aus, so dass ich nur hilflos oder verärgert reagieren kann, weil ich mich ihrer kaum erwehren kann und regelrecht unter Druck gerate.
• Sie ist der festen Überzeugung, dass ihr Elternhaus nur ein paar Häuser entfernt liegt und ihre Eltern noch leben. Besonders ihrer Mutter gegenüber hat sie Schuldgefühle und sie macht sich ständig Gedanken, was diese wohl denken wird, wenn sie wieder nicht „zu Hause“ ist. Sie traut sich aber nicht, sich allein auf den Weg zu machen, weil sie nicht weiß, wo sie „da gehen muss“. Dafür läuft sie stundenlang unruhig hin und her. Im nächsten Moment kann das wieder vergessen sein und sie stimmt bereitwillig zu, noch eine Nacht hierzubleiben.
• Ich kann sie höchstens morgens noch kurze Zeit allein lassen (ich habe zur Zeit Urlaub), muss allerdings damit rechnen, dass sie anfängt laut zu weinen und zu rufen, was ich jetzt mithilfe eines „Babyphons“ feststellen konnte. Das ist mir auch unangenehm und peinlich den Nachbarn gegenüber, zumal meine Mutter immer sehr rücksichtsvoll gewesen ist. Zur Zeit kann ich weder nachmittags noch abends etwas unternehmen.
• Ich kann sie nur äußerst selten zum Duschen bewegen, zum Glück betreibt sie morgens noch selbstständig eine Morgentoilette, aber auf Dauer geht das natürlich nicht. Sie lässt sich nicht die Nägel schneiden, tut es allerdings auch nicht selbst mit dem steten Hinweis, dass sie das „zu Hause“ machen werde, also nie. Mit ihren Haaren ist es ähnlich. Ich traue mich schon gar nicht mehr, sie bei einem Friseur anzumelden, weil ich Angst habe, sie könnte irgendwie „auffällig“ reagieren (ihr Wesen hat sich da völlig geändert: meine Mutter war immer bekannt für ihre Eleganz und Gepflegtheit).
• Kleidung ist ein Thema für sich: Ich wage es kaum noch, ihren Kleiderschrank zu öffnen, weil sie sich lauthals darüber empört, wer ihre Sachen „hierhergebracht“ habe. Das artet in ein regelrechtes Geschrei aus, denn keine Antwort stellt sie zufrieden. Dasselbe Geschrei findet statt, wenn ich ihr frische Kleidung hinlege: Sie behauptet allen Ernstes, dass das nicht ihre Sachen seien, und weigert sich, diese anzuziehen.
Meine Schilderung macht deutlich, dass es so nicht weitergehen kann. Wir dürfen nicht beide auf der Strecke bleiben, die wir über Jahrzehnte ein schönes Mutter-Tochter-Verhältnis hatten. Die Frage ist nur: Was kann man tun? Eine Haushaltshilfe wäre schon einmal angebracht, aber genügt diese? Damit wäre das laute Verhalten und die Unruhe meiner Mutter auch nicht beseitigt. Kann man da etwas mit Medikamenten machen (zur Zeit nimmt sie Axura)? Beruflich kann ich nur wenig kürzer treten, das würde auch in dieser Situation kaum etwas bringen. Weiß jemand Rat?
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