Im menschlichen Miteinander läuft es bekanntlich bei Weitem nicht "rund". Es ist allzu oft ein emotionales "Drunter und Drüber" und wir kommen immer wieder in den Strudel der eigenen Emotionen und der der anderen. Es gibt Egoismus, Unverständnis, tiefste Verletzungen, jahrelange psychische Belastung usw., wir kennen das alle. Jeder geht anders damit um, und wenn man an den wundesten Punkten getroffen wird, ist nichts mehr steuerbar.
Eine Eigenschaft, die in solchen Spannungszuständen meiner Meinung nach besonders kräfteraubend ist, ist der Wunsch, den anderen verändern zu wollen, so dass er mir "passt".
DAS GEHT NICHT.
Jeder Mensch möchte zunächst angenommen werden als Person und nicht dafür, was er ist oder kann. Und jeder Mensch hat eine eigene Verantwortung, die er NACH SEINEM MASS und nicht nach dem Maßstab der anderen tragen muss - das gilt in gewisser Weise auch für Demenzkranke.
In der Extremsituation einer Demenzkrankheit wird nun alles auf den Kopf gestellt. Alte Wunden, die eigentlich noch aufgearbeitet werden müssten, müssen nun hinten an gestellt werden und es gibt keinen Raum mehr, die Themen anzugehen, weil viel zu viele andere Aufgaben im Vordergrund stehen. Gerade in schwierigen Situationen bekommen aber genau auch die unbequemen Eigenschaften wieder mehr Raum. Das macht alles nicht einfacher und scheint unlösbar. Jeder will sein "Recht", aber das Chaos ist zu groß.
Ich spreche hier mal speziell von uns hier, die wir so etwa im Durchschnitt zwischen 45 und 60 sind. Unsere Eltern entstammen der Kriegs- oder Nachkriegsgeneration und waren, als wir Kinder waren, schwer mit dem Aufbau beschäftigt. Sie haben selbst unsägliche Traumata erlebt, die nie aufgearbeitet wurden, bis heute nicht. Erstens war das damals nicht üblich, zweitens hatten die auch gar keine Zeit dafür. Es ging darum, die Kinder durchzubringen und das, wovon wir heute in unserer Gesellschaft profitieren, ist Ergebnis dieser harten Arbeit. Die Früchte der späteren Generation (also unsere Früchte), die dann mehr und mehr geprägt sind vom Genussdenken und "alles haben wollen" werden da wohl unter dem Strich nicht so gut abschneiden.
Dass unsere Eltern, so wie jeder Mensch überhaupt, auch ihre Verletzungen hinter sich haben, sollten wir uns bewußt machen und ich vermute auch, dass viele Demenzerkrankungen durch die erlebten schrecklichen Ereignisse gefördert wurden.
Jeder Mensch kann unerträglich böse sein und auch viel Gutes haben. Solange man auf "Augenhöhe" ist, gibt es vielleicht eine Chance, sich zu "einigen", in der Betreuung bei Demenzkranken allerdings geht das meist absolut nicht mehr. Die Frau, die den Mann betreut, ist überfordert und hat nun ein Kind als Lebensgefährten und kann alle Konflikte der Ehejahre nie mehr besprechen. Die Tochter, die die Mutter betreut, muss die Mutter-Tochter-Konflikte außen vor lassen, weil die Mutter es nicht mehr verstehen kann; ...
Fazit: Zunächst muss man sich klar machen: eigene Wünsche, alte Wunden treten mehr und mehr in den Hintergrund. Ich muss entscheiden: was kann und was will ich leisten. Will ich helfen, kann ich helfen und wenn ja, wieviel. Das Mass an Hilfe, das ich dann gebe, kann aber mehr oder weniger nur BEDINGUNGSLOS sein. Ich bekomme etwas zurück, vielleicht sogar, dass ein angespanntes Verhältnis ganz neue positive Impulse bekommt und dass ich verstehen und vergeben kann.
Eines möchte ich noch ganz klar sagen: Wer die Verantwortung für einen Demenzkranken hat, und sogar noch mit ihm zusammenlebt, ist nach ein paar Jahren körperlich und psychisch ausgebrannt. Dass heisst nicht, dass man auch wunderbare Erfahrungen machen kann und die Erlebnisse nicht missen möchte - ABER - so jemand kann JEDE erdenkliche Hilfe gebrauchen und man sollte nicht von ihm verlangen auch noch tausend anderen Bedürfnissen gerecht zu werden.
Und, ein Demenzkranker kann im Verlauf seiner Erkrankung sein Verhalten immer weniger reflektieren und hat somit so eine Art "Freibrief", also Privilegien, die wir nicht haben. Er kann "machen, was er will" - Ausnahme, wenn niemand es mehr aushält, wird er sozusagen in eine für andere erträgliche Lage hineingeführt.
Ich möchte betonen, dass ein Demenzkranker ein vollwertiges, wichtiges Mitglied unserer Gesellschaft ist. Es ist eine spezielle Art der Behinderung, doch er kann uns sehr viel lehren - gerade vielleicht auch, dass wir die Chance haben, zu lernen, einem Menschen bedingungslos etwas Gutes zu tun.
Lasst uns nicht nach rechts und links schauen, sondern schauen, was wir gemäß UNSEREN Möglichkeiten beisteuern können, möglichst ohne Dank zu erwarten. Der "Lohn" kommt oft ganz überraschend auf andere Weise.
Soweit mal ein paar Gedanken "am Rande". Vielleicht hat der ein oder andere noch weitere Anregungen, die er beitragen kann.
Danke für die Möglichkeit, sich hier mit Euch austauschen zu können, liebe Grüße, Eva Franziska
Kommentar