Meine an Alzheimer erkrankte Mutter (81) ist vor 9 Monaten in ein kleines, neu eröffnetes Pflegeheim an ihren (und meinem) Wohnort umgezogen. Ich schreibe deshalb „umgezogen“, weil es auf ihren ausdrücklichen Wunsch geschah, als sie immer mehr ihre Defizite bemerkte und es für sie offenbar unerträglich wurde, sich in ihrer eigenen Wohnung helfen lassen zu müssen (ich hatte sie 1 ½ Jahre lang zusammen mit einem Pflegedienst mehr oder weniger täglich betreut. Sie war auch 1x die Woche in Tagespflege, wo es ihr zwar sehr gut gefallen hat, aber sie war so früh am Morgen immer kaum aus dem Bett zu kriegen) .
Nach ihrem Umzug ist sie förmlich aufgeblüht, es war als sei eine Last von ihr abgefallen, ihre langjährige Depression war mit einem Mal verschwunden, sie wurde plötzlich wieder richtig aktiv und dynamisch. Auch dass sie auf Grund ihrer körperlichen Fitness anderen Heimbewohnern behilflich sein kann, hat ihr Selbstbewußtsein ungeheuer gestärkt. Das alles hat uns sehr gefreut.
Doch damit begann auch mein Problem, denn das Heim ist kein geschlossenes Heim und meine Mutter als alte Sportlerin höchst mobil. Schon am ersten Tag kam sie uns fröhlich auf der Straße entgegen als mein Mann und ich sie besuchen wollten und konnte sich überhaupt nicht erinnern, dass sie umgezogen war. Das war im April. Von da an haben wir (manchmal auch ehemalige Nachbarn) sie jede Woche 2-3x suchen und ins Heim zurückbegleiten müssen, im Juni/Juli sogar täglich. Dabei war sie dann jedes Mal froh, einen von uns „zufällig“ getroffen zu haben, weil sie „mal wieder“ vergessen hatte, dass sie ja umgezogen ist. Irgendwann waren die (betagten) Nachbarn am Ende ihrer Nerven, wir auch.
Wir haben dann eine Handyortung eingerichtet, weil sie auch schon mal den Bus nimmt, um ihre Eltern (vor 40 Jahren verstorben) zu besuchen (das ist der häufigste Grund, weshalb sie das Heim verläßt). So ließ sich immerhin feststellen, ob sie die Ortschaft verlassen hat, oder ob sie sich im Umkreis ihrer ehemaligen Wohnung aufhielt.
Bei mehreren Gesprächen mit der Heimleitung wurde angedeutet, dass meine Mutter eigentlich in eine geschlossene Einrichtung gehöre. Mein Mann und ich haben uns ein (renommiertes) Haus für Demenzkranke angesehen, aber wir waren uns rasch einig mit der dortigen Leitung, dass das der Anfang vom Ende für meine Mutter wäre.
Meine Mutter hat zwar praktisch kein Kurzzeitgedächtnis mehr, aber sie kleidet sich noch selbst an, ist sprachlich bisher so gut wie gar nicht eingeschränkt, kann noch gut vorlesen (auch wenn sie nicht alles versteht, was sie liest), nimmt ihre Umgebung noch sehr bewußt wahr und wäre entsetzt, wenn sie z.B. in ihrem Bett einen fremden Bewohner vorfände.
Zeitweilig hatte die Heimleitung auch einen elektronischen Weglaufalarm für gefährdete Bewohner eingerichtet und kurzzeitig auch eine Türsicherung mit deutlich sichtbar ausgehängter Zahlenkombination, aber nach einer Kontrolle durch die Heimaufsicht wurde das untersagt, weil es sich um freiheitsentziehende Maßnahmen handelt.
So befinde ich mich in der Situation, dass ich den Dunstkreis meiner Mutter nicht mehr verlassen kann. Das Heim darf sie aus rechtlichen bzw. versicherungstechnischen Gründen weder über ihr Handy orten, noch sie zurückholen, wenn sie geortet wurde. Die Polizei ist in so einem Fall auch nicht zuständig, denn eine Person, die man orten kann (und wenn auch nur auf 2 Kilometer genau), gilt nicht als vermisste Person.
Mittlerweile habe ich 2 Leute angestellt, die 3x die Woche mit ihr zwischen 15:30 und 18:00 (das ist die Zeit, in der sie am dringensten den Wunsch hat, wohin zu gehen) spazieren gehen, oder sie auch nur im Auge behalten. An den anderen Tagen eile ich sofort nach der Arbeit zu ihr, wo ich oft von meiner Mutter schon in Hut und Mantel und vom händeringenden Pflegepersonal erwartet werde. Manchmal springt mein Mann ein, aber auch seine Eltern sind pflegebedürftig, er versorgt sie 2x in der Woche.
Mein Mann und ich sind vollzeit berufstätig in nicht ganz stressarmen Berufen. Seit 3 Jahren waren wir nicht mehr im Urlaub. Wenn wir frei haben, machen wir mit unseren Eltern Arztbesuche und erledigen, was in der Zwischenzeit liegengeblieben ist, weil wir mehr bei unseren Eltern sind als zu Hause. Allmählich habe ich das Gefühl, am Ende meiner Kräfte zu sein. Ich würde liebend gerne mal 1 Woche mit meinem Mann wegfahren, irgendwohin, wo wir mal eine Woche lang nicht zuständig sind. Bisher haben wir es nicht gewagt, weil ich Schiss habe, die Handyortung einfach auszuschalten und zu hoffen, dass man meine Mutter schon irgendwie wiederfinden wird, und weil ich Angst habe, dass, wenn es größere Probleme gibt, das Heim darauf bestehen könnte, dass meine Mutter in ein Heim mit geschlossener Abteilung umziehen muss.
Ich finde es furchtbar, auf Grund der Gesetzeslage, die entweder die kompromisslos freie Selbstbestimmung oder das Einsperren in Abteilungen à la „Einer flog übers Kuckucksnest“ vorsieht, gezwungen zu werden, irgendwann knallhart entscheiden zu müssen, ob man selbst drauf gehen soll oder der erkrankte Angehörige.
Vielleicht habt ja ihr Ideen oder Erfahrungen wie man so eine Situation für Angehörige und Erkrankte bewältigen kann, ohne, dass einer den Kürzeren zieht?
Kommentar