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Gedanken im Umfeld zum Thema Magensonde

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  • Gedanken im Umfeld zum Thema Magensonde

    Gedanken zum Thema „Magensonde

    Erfahrungen mit einer Magensonde bzw. einer PEG (perkutane endoskopische Gastrostomie - Nahrungszufuhr über die Bauchdecke nach einer kurzen chirurgischen Maßnahme) haben wir noch nicht, aber früher oder später wird diese Problematik auch auf uns (Mutter und mir) zukommen. Es ist daher sinnvoll, sich frühzeitig Gedanken darüber zu machen.

    Ich bin ziemlich sicher, dass Vater, wie er einmal war, derlei ablehnen würde. Er würde aber auch den Zustand ablehnen, in dem er sich bereits befindet. Die Persönlichkeit aber, die er jetzt ist - annähernd als kindliche Persönlichkeit im Sinne der vom Fachkrankenpfleger Ingo Schwalm (Ischwalm) beschriebenen "Rückwärtsentwicklung“ zu verstehen – hat ja genau so ihre Rechte wie die ursprüngliche intakte reife, erwachsene Persönlichkeit. Im Grunde genommen hat sie sogar noch mehr Rechte, denn es kommt ja die Fürsorgepflicht hinzu.

    (zur Rückwärtsentwicklung siehe bitte ggf.

    http://forum2.onmeda.de/read.html?26...46#msg-1640446 )

    Erschwerend kommt hinzu, dass diese kindlich anmutende Persönlichkeit ja die Basis dessen war, was später als erwachsene Person erscheint. Mein Vater z.B. nimmt z.Z. immer mal wieder Dinge auseinander – sogar eine Brille einer Mitbewohnerin im Heim, die das aber gar nicht bemerkte (der Schaden wurde dann über die Haftpflichtversicherung geregelt). Das tun mitunter Kinder, die später einen technischen Beruf ergreifen. Ich tat das als Kind ebenso: Spielzeuge wurden zerlegt, um zu sehen, wie sie aufgebaut sind und funktionieren. Daher ist es – so gesehen – auch nicht ganz korrekt, von zwei Persönlichkeiten zu reden.

    Nehmen wir als Beispiel Walter Jens: Dieser war einst ein starker Befürworter des selbstbestimmten Endes, verpasste aber dann den Zeitpunkt, diese Konsequenz aus seiner Auffassung zu ziehen, verlor die Krankheitseinsicht und wollte weiter leben. Und wie gelegentlichen Mitteilungen aus der Presse zu entnehmen, findet er noch Freude am Leben. Es ist wahrlich eine sehr komplexe Problematik – vielleicht unlösbar.

    Wir können den Willen eines in einem weit fortgeschrittenen Stadium einer unheilbaren Demenz befindlichen Menschen nicht mehr (eindeutig) erkennen. Will er uns irgendwie mitteilen, endlich mit der ganzen Quälerei Schluss zu machen oder ist da gar keine Gedankenbildung mehr möglich, die einen solchen Willen erzeugen und formulieren würde, wenn das noch ginge?

    Man muss sich hier vor reduktionistischen Schlüssen hüten, auch wenn sie naheliegend sind. D.h., man sollte sich nicht mit einer vereinfachten Erklärung mit unvollständigen neurobiologischen Argumenten zufrieden geben oder zufrieden stellen, etwa in der Art, dass ein weitestgehend zerstörtes Gehirn ja nur noch auf eher rudimentärer Basis arbeitet und gar keine Weltrepräsentation mehr zuwege bringen kann. Das geht m.E. gar nicht so einfach, weil auch im Endzustand noch Milliarden intakter Neuronen im Gehirn existieren und eigentlich „nur“ das Fehlen korrigierender Neuroplastizität eine Neuordnung des Gehirns zur Wahrung der persönlichen Integrität mit fast allen ihren Fähigkeiten verhindert. Zur Verdeutlichung: Es gibt Menschen, die mit bis zu 50 Prozent weniger Großhirnmasse oder mit fehlenden Hippocampi ein nahezu normales Leben führen können. Es existieren Berichte seriöser Fachzeitschriften (z.B. Lancet – gemäß Vortrag von Manfred Spitzer in „Teleakademie“), die von Menschen künden, denen die ganze linke Hirnhemisphäre – mithin das komplette Sprachareal – fehlen, und die dennoch mehrere Sprachen beherrschen. Allerdings wurden diese Defizite schon in der Kindheit behoben, in der sich das Gehirn noch viel leichter umorganisieren kann, als im späteren Leben. Würde man einen Weg finden, diese enorme Neuroplastizität auch im Alter noch mal „anschieben“ zu können, wäre das der Sieg über dementielle Erkrankungen. Aber derlei ist leider bestenfalls nur „Zukunftsmusik“ –uns hilft es hier und heute nichts.

    Alles Leben will Glück erfahren und Leid vermeiden. Ich gehe davon aus, dass auch im Endstadium einer Demenz noch Welterfahrung stattfindet, wenngleich auch kaum mehr identisch mit unserer Welterfahrung. Der Ego-Tunnel (Thomas Metzinger) mag verzerrt, gekrümmt oder durchlöchert sein – er existiert dennoch weiter. D.h., es gibt immer noch einen Erlebenden, der Leid oder Glück erfährt.

    Wird durch das Legen eine Magensonde bzw. einer PEG das Leid des Patienten nur noch erhöht? Ist danach keine Glücksempfindung mehr möglich? Wenn man diese Fragen eindeutig bejahen kann, sollte man auf diese Maßnahme verzichten.

    Meiner Meinung nach – ich kann mich selbstverständlich irren – kann man diese Fragen nicht so einfach hinreichend beantworten. Mein Vorschlag wäre daher, es in jedem Fall zu versuchen, denn wie will man es sonst feststellen? Was bei anderen fehlschlug oder gelang muss nicht gleichermaßen im aktuellen Fall ähnlich verlaufen – aller Statistik zum Trotze.

    Was wäre, wenn wir die Körperempfindungen weitestgehend abkoppeln könnten und das Gehirn in einen euphorischen Zustand versetzten? Das erscheint m.E. machbar.

    Unser Ziel ist das Ziel allen Lebens: Glück. Dieses erfahren wir nach gelungener Arbeit, usw. Was aber geschieht dabei im Gehirn? Vereinfacht gesagt, kommt es im Gehirn zu einer Ausschüttung der sog. „Glücksstoffe“, das sind die sog. Endorphine. Es handelt sich dabei um körpereigene Opioide, die z.B. bei Nahtoderfahrungen enorme Glückseeligkeitsempfindungen auslösen können. Gibt man chemisch sehr ähnliche Substanzen von außen in das Gehirn (z.B. Morphin, usw.), geschieht ähnliches. Daher könnte es sinnvoll sein, den unheilbar Kranken Opioide zu geben – die Magensonde dürfte ihn dann kaum noch interessieren und die Abhängigkeitsgefahr wäre in diesen Stadien m.E. nur noch eine akademische Frage. Man praktiziert derlei ohnehin in Endstadien bei Krebs, usw. Warum also nicht auch hier? Warum dem unheilbar Kranken nicht sein „High“ gönnen, auch wenn er für uns dann noch weniger ansprechbar sein könnte? Wir sollten nicht uns zum Problem machen. Es wäre m.E. von uns egoistisch, vom Kranken zu „verlangen“, er möge immer schön wach sein, damit wir (!) noch mit ihm kommunizieren können. Aus meiner Sicht gäbe es nur einen Grund, nicht so zu verfahren: Die schon durch die Demenz erfolgte Zerstörung derjenigen Hirnteile, die für Glücksempfindungen zuständig sind (z.B. nucleus accumbens). Dann aber wäre es m.E. oberstes Gebot „den Stecker zu ziehen“, denn es bliebe ja nur noch pures Leid oder völlige Bewusstlosigkeit („Schlafes Bruder“) übrig. Wer will schon Folterknecht sein?

    Soweit diese nur mal spekulativen und unausgegorenen Gedanken. Mehr nicht. Möge sich jeder selber seine Gedanken machen. Die Entscheidungen muss ohnehin jeder alleine treffen und ich befürchte schon jetzt wieder schlaflose Nächte, wenn die Reihe an meine Mutter und mich kommt.

    Mit freundlichen Grüßen
    Egon-Martin


  • Re: Gedanken im Umfeld zum Thema Magensonde


    "Die Persönlichkeit aber, die er jetzt ist ... hat ja genau so ihre Rechte wie die ursprüngliche intakte reife, erwachsene Persönlichkeit." Das finde ich ganz wichtig. Können wir das wirklich so verinnerlichen, können wir es unserer Umgebung vermitteln? Die Fürsorge droht die Vollwertigkeit der Person, die manchmal kaum noch zu erkennbaren, selbstbestimmten Handlungen fähig ist, zu überlagern.

    Zu Zeiten der Depression erkannte ich bei meiner Mutter eine deutliche Neigung aufzugeben und sie sagte auch mehrmals, dass sie wünschte, ihr Leben wäre bald vorbei. Genau so eindeutig war aber zu erkennen, dass es für sie selbstverständlich war, zu leben und am Leben zu bleiben. Das stand gleichwertig nebeneinander. Durch ihre Hilflosigkeit konnte sie aber weder das eine, noch das andere zielgerichtet verfolgen. Den vorhandenen Lebenswillen wieder an die Oberfläche zu bringen, musste ich als Angehörige stellvertretend ihr nahe bringen. Ich habe nie darüber nachgedacht, aber beim Lesen Ihres Beitrages fällt es mir im Nachhinein auf.

    Ist es nicht so, dass kein Mensch bestimmen kann, welches Leid ihm begegnet und an welche Grenzen er kommen wird? Genaussowenig, wie ein Entscheidungsunfähiger verstehen und ausdrücken kann, ob er eine Magensonde möchte oder nicht, kann ein Entscheidungsfähiger zuverlässig in jeder Situation erkennen, was für ihn richtig ist und was er ertragen kann oder will. Es ergibt sich erst aus der Situation und oft genug hört man, dass gerade die "unbeliebtesten" Begebenheiten die wertvollsten Lebenszeiten wurden.

    Das Leid lässt sich mit und ohne Magensonde nicht vermeiden. Das Sterben lässt sich mit und ohne Magensonde nicht verhindern.
    Wir versuchen als Angehörige im Sinne des Willens des Betroffenen zu handeln. Das geht aber eigentlich gar nicht, weil wir den Willen nicht wirklich kennen und nur meinen, ihn zu kennen. Auch eine frühzeitige Aussage, so eine Maßnahme abzulehnen, beruht ja auf ziemlicher Unwissenheit, da sie meist im gesunden Zustand formuliert wurde.

    Diese Aussage von ihnen finde ich extrem hilfreich: "Wird durch das Legen eine Magensonde bzw. einer PEG das Leid des Patienten nur noch erhöht? Ist danach keine Glücksempfindung mehr möglich? Wenn man diese Fragen eindeutig bejahen kann, sollte man auf diese Maßnahme verzichten."
    Es ist vielleicht eine Frage, was man überhaupt unter "Leben" versteht. Wir, die wir mit Menschen zusammenleben, die sich selbst mehr und mehr verlieren, die aber nicht verloren sind, weil von unserer Seite (scheinbar einseitig) ein Band geknüpft wird, stehen in ganz besonderer Weise vor dem "Rätsel" des Lebenswerten. Obwohl ich mich nie so sehr definiert habe über das, was im Alltag oft als wichtig angesehen wird, bin ich dennoch durch die Konfrontation mit der Krankheit in ein ganz anderes, losgelöstes, ja zum Teil bedingungsloses Beziehungsverhalten eingetreten. Das verändert auch die Eckpunkte, aus denen heraus man Entscheidungen trifft. Mein Trost ist (durch meinen christlichen Glauben) die Hoffnung, bei den Entscheidungen richtig geführt zu werden.

    "Möge sich jeder selber seine Gedanken machen", sagen Sie. Mehr ist dies hier auch nicht, was ich jetzt mitgeteilt habe. Und wahrscheinlich ahne ich nicht, was noch auf mich zukommt und was Sie hier alle durchmachen, da ich zu Zeit noch das große Privileg habe, dass meine Mutter sich in alle "Maßnahmen" einfügt. Ich muss weiter darüber nachdenken und danke Ihnen für den Anstoss.

    LG, Eva Franziska

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    • Re: Gedanken im Umfeld zum Thema Magensonde


      Wer den Namen "Franziska" in seinem Namen trägt, der erinnert mich an Franz von Assisi. Und so ist es wohl auch bei Ihnen, denn Sie schrieben ja schon den beeindruckenden Beitrag:

      http://forum2.onmeda.de/read.html?26...00#msg-1782000

      über die Liebe.

      Ich sage auch wie der "Pfarrer Braun" aus vollem Herzen zu Jesus: "Du bist doch der Größte!" Und so ist es auch. Eines Tages werden das alle erkennen, denn jenseits der Todesmauer gibt es keine Atheisten.

      Zu Ihrem Beitrag in diesem Thread werde ich noch Stellung nehmen; aber das hier musste ich einfach mal loswerden.

      Gottes Segen und viel Liebe und Kraft wünscht Ihnen und allen anderen
      Egon-Martin

      Kommentar


      • Re: Gedanken im Umfeld zum Thema Magensonde


        Liebe Eva Franziska,

        Sie sprechen u.a. den wichtigen Punkt der Fürsorge an und bemerken, ob diese die Person überlagern kann. Ja, es ist möglich, den Patienten mit Fürsorge über Gebühr einzuengen. Um das zu vermeiden, haben wir lange Zeit, als Vater noch verkehrssicher gehen konnte, ihn auch alleine tagsüber „weglaufen“ lassen. Manchmal habe ich ihn aber auch – ohne dass er es bemerkte – „beschattet“, um zu sehen, wie verkehrssicher er noch läuft und um notfalls eingreifen zu können. Meist fand er – wenn auch zeitweise mit kuriosen Umwegen – allein nach Hause zurück. Auch hatte ich Ladeninhaber über Vater informiert und stellte dabei fest, dass nicht wenige eigene Angehörige oder Bekannte haben, die ebenfalls an einer Demenz erkrankt waren, so dass ich auf viel Verständnis traf. Das war unsere Strategie: Möglichst viel Sicherheit schaffen, ohne das es Vater bemerkte. Und das funktionierte auch ganz gut bis es dann leider doch so schlimm wurde, dass Vater die Ampelphasen nicht mehr kannte, usw. Da mussten wir ihn leider einengen in seiner Bewegungsfreiheit bzw. mit ihm gehen, zumal seine Sprache auch immer unverständlicher wurde und er daher nicht mehr korrekt nach dem Weg fragen konnte, falls er überhaupt noch die Adresse erinnern konnte. Mittlerweile hatten wir auch einen Pflegedienst engagiert, der Vater abends ins Bett brachte. Es war nun schon so weit gekommen, dass es große Mühen machte, Vater zum Ausziehen seiner Kleidung zu bewegen. Morgens konnte Mutter noch einigermaßen gut mit ihm fertig werden, wenn es auch viel Zeit kostete.

        Alles in allem fällt bei dieser Erkrankung auf, dass die Probleme meist – vielleicht zu 80 Prozent - immer erst gegen Abend und im weiteren Krankheitsverlauf in der Nacht eskalieren. Das ist das berüchtigte „Sundowning“, dass besonders im Winter und an trüben wolkenverhangenen Tagen - meiner Beobachtung nach - verstärkt in Erscheinung tritt. Ich habe mal gehört, dass Menschen am Polarkreis weit mehr von Depressionen (die sind beim Sundowning ja immer dabei) betroffen sein sollen als anderswo. Folgerichtig gibt es auch eine sog. Lichttherapie bei Depressionen. Es wäre daher vielleicht eine Überlegung wert, über die Anschaffung eines „Bräuners“, wie er auch in sog. Sonnenstudios verwendet wird, nachzudenken (wobei man allerdings eventuelle dermatologische Probleme ausschließen muss). Der UV-Anteil ist hoch und das belebt. Direkt am Abend ist daher eine Anwendung m.E. nicht angezeigt, sondern vielleicht am frühen Nachmittag um möglichst viele körpereigene Stoffe gegen Depressionen zu aktivieren, die dann (hoffentlich) noch einige Stunden wirken. Ich habe damit aber leider keine Erfahrungen.

        Ja, das Leiden, das Grauen und der Tod. In einem atheistischen Internetforum wurden einmal Argumente gegen Gott gesammelt. Auf Platz zwei rangiert die Theodizee, also das Empören darüber, dass Gott all das Üble und Böse zulasse (Platz eins belegt eine mehr philosophische, erkenntnistheoretische Position, die – ausgehend von einer verabsolutierten Sicht der Naturwissenschaften – in etwa besagt, dass ein Eingreifen Gottes in dieser Welt überhaupt nicht möglich sei und das daher die Existenz Gottes keine Rolle spiele). Warum all dieses Leiden, speziell auch die Demenz? Warum reagiert Gott anscheinend auf viele Gebete nicht? Ich habe darauf keine zufriedenstellende Antwort, halte aber eine Abwendung von Gott deswegen dennoch für eine falsche, irgendwie überstürzte Reaktion. In den Nächten meiner Sorgen las ich u.a. das alttestamentarische Buch Hiob. Darin findet sich zumindest in Ansätzen eine m.E. mögliche Antwort. In diesem Buch, dieser uralten Erzählung, wird Gott mit einem herausfordernden Argument konfrontiert: Die Menschen glauben nur an Gott, solange er ihnen hilft, sie segnet. Findet das nicht mehr statt, so wenden sie sich von Gott ab bzw. „fluchen ihm ins Angesicht“. Für mich wurde daraus klar: Gott will keine Egoisten! Es ist daher – konsequent zuende gedacht – auch falsch, nur an Gott zu glauben, weil man in den Himmel oder in das Paradies will. Folglich ist es auch schon falsch, nur zu glauben, damit einem möglichst viele Unannehmlichkeiten im Leben erspart bleiben. Sprach nicht Jesus (der uns helfen will, mit unserem Egoismus fertig zu werden) – ganz im Gegenteil zu solchen weit verbreiteten Irrtümern – vom Kreuz, das jeder, der ihm folgen möchte, auf sich nehmen soll? Es heißt ja sogar, das der, wer sein Leben retten will, es verlieren wird, aber derjenige, der sein Leben um Gottes Willen verlieren wird, gerettet wird. Paulus schreibt sogar, dass nicht mehr er, sondern Christus in ihm lebe. Es heißt überdies, dass sein Reich nicht von dieser Welt und das er die Wahrheit sei. Daraus ergibt sich für mich, dass diese Welt (bzw. die Art und Weise unserer gewöhnlichen Welterfassung) eine Lüge bzw. eine „Illusion“ ist, die vom Ich projiziert wird. Tatsächlich wird der Teufel, der Vater der Lüge, als Fürst dieser Welt bezeichnet. Neurobiologen sagen mir, dass das, was wir als Welt erfahren, „nur“ eine Weltsimulation ist, ein Hirnkonstrukt und dass die (wirkliche) Welt unvorstellbar umfassender sei, ergibt sich m.E. daraus (und aus der Tatsache, dass immer komplexer evolvierte Gehirne immer mehr an Welt erfahren als weniger komplexe). Alte indische Philosophen wie der Buddhist Nagarjuna oder Ansichten des sog. Advaita Vedanta weisen in ähnliche Richtung. Zu allem Überfluss sagen mir Neurobiologen seit Benjamin Libet, dass es vmtl. so etwas wie einen freien Willen für uns nicht gibt. Kann man sich daher z.B. gar nicht freiwillig für oder gegen Gott entscheiden? Aber wie sollte man sich denn auch für oder gegen Gott entscheiden, wenn Gott sich jeder wissenschaftlichen Erkundung nach ihm entzieht – er also nicht fassbar oder nicht belegbar ist? Des Rätsels Lösung liegt im Aufgeben dieses Entscheidungsprozesses, im Erkennen, dass Gott weder Sache noch Konzept ist, für das man sein kann oder nicht sein kann. Des Rätsels Lösung liegt im Glauben, im Vertrauen, in der Hingabe – nicht in der Parteinahme. Gott ist Bewusstsein, alles umfassendes und durchdringendes Bewusstsein. Um das zu verstehen, sollten wir noch mal darüber nachdenken, dass wir nicht in der Welt leben, sondern in einem von unseren Hirnen erstellten Bild von Welt, das bestenfalls eine einigermaßen stimmige Teilmenge von Welt ist. Dieses Konstrukt, diese neuronale Simulation enthält aber auch das Gehirn selber – also erleben wir nicht nur eine Illusionen, Simulation oder Konstrukt sondern sind auch selber Bestandteil davon. Die Tatsache aber, das wir Kenntnis von dieser unserer „Gefangenschaft“ in der Zirkularität haben, weist m.E. über all unsere Befindlichkeiten hinaus, weist auf ein umfassendes Bewusstsein. Nach meiner persönlichen Überzeugung kann Welt nur erscheinen, wenn es Bewusstsein gibt. Da aber diese Welt offensichtlich schon lange bestand, als es uns noch gar nicht gab, muss daher ein Bewusstsein existieren, welches die Welt bewirkt, aber selber ewig ist. Das nenne ich Gott. Gott ist immer und ohne Veränderung, da ewig und nicht zeitlich. Aus ihm kommt alles und zu ihm geht alles. Gottesbilder – im Dekalog zu Recht verboten – sind nur anthropomorphe Projektionen und ich habe noch keinen Atheisten getroffen, der sich nicht in seinem Eifer gegen Gott in Wirklichkeit nur an Gottesbilder „austobte“ (ich war auch mal so einer). Er kann nämlich Gott gar nicht erfassen – niemand kann das. Daher hat Tertulian recht mit seinem „credo quia absurdum est“ („ich glaube, weil es absurd ist“) – oder frei übersetzt: Einen Gott den es gibt, gibt es nicht.

        Welcher Trost kann darin jetzt für uns liegen? Für mich – ich kann nicht so vermessen sein, derlei für andere vorauszusetzen - ist es der Trost, der in der Allumfassenheit durch Gott liegt und das dem entsprechen könnte, was Bonhoeffer empfunden haben mag, als er von der Geborgenheit durch wunderbare Mächte schrieb. Was auch geschieht, die Wahrheit, das ewige Bewusstsein, Gott, ist und bleibt immerdar. Es gibt kein „Außerhalb“. Selbst alles Üble hat er unter Kontrolle. Das bedeutet, dass es einen Sinn in allem gibt und für uns kein letztes Wort gesprochen ist. Sterben müssen wir alle einmal auf die eine oder andere Weise. Damit geht unsere persönliche Welt unter. Aber es ist nicht auszuschließen, dass eine überpersönliche Welt, die Ewigkeit, dann erst richtig aufgeht. An dieser Stelle mag die ketzerische Frage auftauchen: Warum sich dann nicht einfach umbringen? Die Antwort darauf lautet: Weil der Impuls zu einer solchen Handlung von einem depressiven Konzept ausgeht, Konzepte aber Illusionen sind. Es wäre daher besser, die Illusionen auch von Leiden aufzuzeigen und darauf zu verweisen, dass alles Zeitliche angesichts der Ewigkeit nahezu zur Bedeutungslosigkeit schrumpft, wozu dann noch Umbringen? Wo will man denn damit hin, wenn man sich stattdessen bewusst werden kann, dass man längst angekommen ist?

        Wenn man dement wird, geht einem die persönliche Welt langsam unter. Eine „alte Welt“ geht unter; eine Welt, welche die sog. Normalen als Hort ihrer Gewöhnung und Geborgenheit ansehen. Eine „neue Welt“ erscheint – nein, es ist noch nicht die Ewigkeit, es ist aber eine andere, kindliche Welt, die vielleicht auch kurzfristig die Chance neuer Unbefangenheit enthalten mag – wenn nicht „Altweltprägungen“ zu sehr noch belasten und ein aussichtloser Kampf um die Rückgewinnung der „Altwelt“ all diese quasipsychotischen Symptome bewirkt, welche ein besonders schweres Problem dieser Krankheit darstellen. Leider haben nur sehr wenige Menschen das Loslassen gelernt. Loslassen aber heißt für mich vor allem, Gott die Dinge, welche wir doch gar nicht bearbeiten können, zu überlassen. Paulus konnte sich noch nach dem Tod sehnen, weil er diesen als Übergang zu Christus sah. Auf unseren Friedhöfen aber jammern die Christen beim Begräbnis eines Mitgläubigen. Nur die sehr selten anzutreffenden ausgelassenen Begräbnisfeiern (z.B. im alten Ostfriesland oder im ländlichen Irland) können in manchen Gegenden noch auf den tieferen Sinn dieses Glaubens etwas hindeuten.

        Soweit meine theologisch-philosophischen Spekulationen.

        LG
        Egon-Martin

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        • Re: Gedanken im Umfeld zum Thema Magensonde


          Lieber Egon-Martin,
          zum großen Teil sprechen Sie mir aus der Seele. Das sind sehr reichhaltige Gedanken und die setzen einen Gedankenfluß in Gang, an dem man zeitweise meint, nun habe man zu einem Abschluss gefunden und dann beginnt man plötzlich wieder von vorne.

          Nirgendwo erlebt man vielleicht so kontinuierlich mit, wie die Persönlichkeit des Menschen mehr und mehr entschwindet, wie bei einer Demenzerkrankung. Eigentlich ist es eine Art jahrelange Begleitung beim Sterbeprozess. Wir können dies aber auch als ein großes "Geschenk" sehen, dass uns unsere kranken Angehörigen damit machen. WIEVIEL KÖNNEN WIR DOCH VON IHNEN LERNEN! Ist es nicht gerade das LOSLASSEN, dass sie jeden Tag neu bewältigen müssen? Hunderte Male hat meine Mutter gesagt, dass sie es annehmen müsse, es gelang ihr dennoch kaum. Wie unendlich schwer muss es sein, das Leben UND Denken teilweise komplett in unsere Hände zu geben, uns zu vertrauen, dass wir sie auffangen können. Ich stelle mir das wie einen Seilakt ohne Sicherheitsnetz vor. Im Verhältnis zu einem allmächtigen Gott sind wir doch gar nicht anders. Wir wissen, dass wir nicht wissen, was in der nächsten Sekunde geschieht, wir sind vollkommen hilflos, wollen das aber nicht wahrhaben, weil uns einige Dinge aus eigener Kraft zu gelingen scheinen. Nun, wo wir mit hineingenommen werden in die Schule des Loslassens, haben wir die in besonderer Weise die Chance, unser Sein zu überdenken und auch neu, tiefer, auszurichten.

          Jeden Morgen muss meine Mutter sich neun "Fallenlassen" in die Hände eines unberechenbaren Menschen. Ich aber kann mich Fallenlassen in die Hände eine allmächtigen Gottes. Soll er mir all sein Tun erklären? Nein, ich könnte die Zusammenhänge in meiner begrenzten Dimension gar nicht begreifen.

          Ich erkläre mir unsere begrenzte Weltauffassung mit Hilfe des Wissens um Dimensionen: das Zweidimensionale könnte, wenn es lebendig wäre, Folgen der Handlungen aus dem Dreidimensionen erfahren, allerdings das Dreidimensionale in seine Gänze nicht erkennen. Dennoch wirkt das Dreidimensionale innerhalb der Zweidimensionalität ganz real und wahr. Wenn Gott multidimensional ist, kann ich sein Handeln zwar real erfahren, aber ich kann seine Dimension nicht erfassen.

          Die Frage ist, begegnet Gott mir PERSÖNLICH oder will er mit mir "nichts zu tun haben".
          Wir schieben unsere Gottesbilder gerne vor und gestatten Gott nicht, sich uns zu zeigen. Wir kommen eher weiter, wenn wir auch hier wirklich loslassen. Die Frage sollte nicht sein, "glaube ich an Gott, WENN er dies oder das tut oder lässt, so oder so ist", sondern wir sollten ihn SEIN lassen, so er wie sich selbst gegenüber Mose beschrieben hat: "Ich bin, der ich bin". Da er höher ist, liegt es an ihm, was er mir von sich offenbaren will und das ist viel, denn: "Wer mich sieht, sieht den Vater", sagt Jesus Christus und bietet uns damit den Weg an, wie wir trotz der undurchdringlichen Dimensionen ERKENNEN können.

          Auch wenn ich ihn erleben darf, kann ich noch lange nicht alles verstehen und das Ausmaß und die Zusammenhänge des Leidens, das der Welt "zugemutet" wird, bleibt immer wieder eine Frage und ein Rätsel. Wobei da eher die Frage nach dem "Wozu" hilft, als die nach dem "Warum". Leiden könnte ich nicht als Illusion, als nicht existent, sehen. Mir wird aber bewußt, wie wenig man ERKENNEN kann, wie die Dinge tatsächlich SIND. Der Apostel Paulus hilft da wirklich sehr, wenn er beschreibt, in welches Verhältnis wir das Leiden setzen können: "Denn das schnell vorübergehende Leichte unserer Drangsal bewirkt uns ein über die Maßen überschwengliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit, indem wir nicht das anschauen, was man sieht, sondern das, was man nicht sieht; denn das, was man sieht, ist zeitlich, das aber, was man nicht sieht, ewig. (2. Korinther 4:17-18) Nur, wie soll man anschauen, was man nicht sieht?

          Da kommt mir wieder Hiobs Geschichte in den Sinn. Ist die Vermutung vom Teufel im Buch Hiob "die Menschen glauben nur an Gott, solange er ihnen hilft, sie segnet" nicht auch ein Irrtum?. Mir scheint eher, dass die Menschen GERADE dann nicht an Gott glauben, WENN er sie segnet. Er spielt oft trotz des Segens in ihrem Alltag keine Rolle, ist einfach nicht existent, ist kein Thema, ist nicht der Rede wert. Der treue, zuverlässige, dankbare Hiob war da wohl anders. Trotzdem stellt er am Ende überrascht fest, dass er Gott nur vom Hörensagen kannte, ihn nun aber gesehen habe. Also Leid, um Gott zu erkennen? Dieser Gedanke erscheint mir nicht so abwegig.

          Soweit ein paar ergänzende, unvollständige, Gedanken zu denen mich Ihre Ausführungen angeregt haben. Möchte schließen mit der Aussage von Jim Elliot: "Der ist kein Tor, der hingibt, was er nicht behalten kann, auf dass er gewinne, was er nicht verlieren kann."

          Liebe Grüße,
          Eva Franziska

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