Es geht um meinen Vater. Er ist 63 Jahre alt, seit drei Jahren Rentner. Seine Grundpersönlichkeit war schon immer aufbrausend, cholerisch, intolerant, jedoch bis zu einem Vorfall auf seiner Arbeitsstelle, aufgrund dessen er quasi "strafversetzt" wurde, hielt sich das alles sehr im Rahmen. Das ist jetzt etwa 12 Jahre her. Seitdem konnte man bei ihm eine immer stärkere Ausprägung dieser Wesensmerkmale beobachten. Etwa seit 10 Jahren nimmt er immer mal wieder verschiedene Antidepressiva, die ihm sein "Hauspsychiater" verschrieb. Etwa um 2000 herum begann sich bei ihm eine gewissen Vergesslichkeit einzustellen. Zunächst waren nur Namen von Personen betroffen, die er ohnehin nur selten zu Gesicht bekam und zu denen er meist früher nur kollegiale Kontakte hatte. Nach und nach begann er dann auch Termine und Verabredungen zu vergessen, wenn er sie sich nicht notierte. Das dehnte sich dann auch auf den Inhalt von Telefonaten aus, weshalb er begann, sich Stichwortlisten zu erstellen, um den Inhalt der Telefonate an meine Mutter weitergeben zu können.
Andere Dinge, wie beispielsweise den Inhalt von Zeitungsartikeln, die er am Morgen oder an vorhergehenden Tagen gelesen hat, kann er sich allerdings nach wie vor hervorragend merken. Das tagesaktuelle Geschehen in der Politik beobachtet er aufmerksam und interessiert, kennt sich aus, politisiert, kritisiert (alles aber sehr aggressiv, stets stark wertend und intolerant, was sich auch und vor allem an seiner radikalen Wortwahl bemerkbar macht). Mir gibt er von Zeit zu Zeit Zeitungsartikel, die sich auf mein Berufsfeld beziehen, zum Lesen mit und erinnert sich auch noch Wochen danach, dass er sie mir gegeben hat und fragt mich dann nach meiner Meinung.
Der letzte gemeinsame Urlaub meiner Eltern vor etwa zwei Wochen war eine mittlere Katastrophe für meine Mutter, da mein Vater einzig und allein damit beschäftigt zu sein schien, möglichst schnell an möglichst viel Essen heranzukommen (O-Ton dreimal täglich: ich will mich mal wieder richtig satt essen) oder, alternativ, Steine und Sämlinge zu sammeln. Von den Geschehnissen um ihn herum bekam er wenig mit; das befreundete Ehepaar, welches mitgefahren war (man kennt sich seit 20 Jahren), ignorierte er wohl größtenteils, er beteiligte sich nicht an Gesprächen, nicht an der Planung von Tagesausflügen, zog sich in seine Welt zurück und machte sich nur bemerkbar (wegrennen, Türen knallen), wenn etwas nicht nach seinem Willen geschah. Alles in Allem: kindliche Verhaltensweisen.
Insgesamt muss ich hinzufügen, dass meinem Vater seine Vergesslichkeit durchaus bewusst ist und dass er sich dadurch auch massiv belastet zu fühlen scheint. Seine Aggressionen scheinen ihm allerdings nicht bewusst zu sein, auch nicht seine Wirkung auf seine Umwelt (immer mehr Freunde meiner Eltern kapseln sich ab, weil er auch sehr oft Streit wegen Nichtigkeiten anfängt).
Anfang 2009 war er für vier Wochen in einer psychiatrischen Einrichtung (welche er nur auf Drängen der Familie aufsuchte); dort wurde auf dem MRT-Bild ein Hirnschwund festgestellt.
Die Diagnose lautet momentan Alzheimer im Anfangsstadium.
Was mich allerdings stutzig macht, ist sein "selektives Vergessen" und die lange Dauer seines "Persönlichkeitsveränderungsweges". Sofern ich das einschätzen kann (als Laie wohl eher schlecht), ist so etwas doch eher untypisch?
Er geht nicht in Hausschuhen einkaufen, verlegt nicht den Kamm im Kühlschrank, benimmt sich was den Alltag angeht eigentlich total "normal". Einzig seine wachsene Aggressivität, seine extreme Intoleranz und das "selektive Vergessen" sind nicht normal (abgesehen vom diagnostizierten Hirnschwund).
Was können wir tun, um zu helfen bzw. um die Diagnose entweder zu bestätigen oder zu entkräften?
Ist denn so ein Verlauf typisch? Deuten Symptome auf etwas anderes hin?
Ich bitte inständig und höflichst um Rat und Hilfe (im Rahmen des hier möglichen), denn dieser Zustand ist mittlerweile untragbar, in erster Linie für meine Mutter.
Mit freundlichen Grüßen,
Schnurzpiepe
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