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Kleine spekulative Gedanken zu Atypika

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  • Kleine spekulative Gedanken zu Atypika

    Medikamente und Nebenwirkungen

    Wir diskutieren zuweilen in diesem Forum u.a. den Einsatz sog. Psychopharmaka bei Demenzpatienten. Diese Diskussionen tragen oft einen kontroversen Charakter insbesondere in Bezug zu den sog. atypischen nichtanticholinergen Neuroleptika (Atypika).

    Glaubwürdige Schilderungen aus sehr leidvollen Erfahrungen von Leona und anderen haben auch mein Misstrauen gegenüber diese Substanzen geweckt - ein mir vor fast 5 Monaten verordnetes tetrazyklisches Antidepressivum habe ich bis heute nicht genommen. Ich muss aber auch hinzufügen, dass ich gelegentlich (das darf man nur gelegentlich nehmen, da diese Substanzen ein nicht zu unterschätzendes Abhängigkeitspotential aufweisen!) bei starkem Stress 1,5 mg/Tag Bromazepam einnehme, was mir gute Dienste leistet (Achtung: Halbwertzeit bis 28 h, d.h. ohne Pausen sammelt sich die Substanz im Körper an – bei 1,5 mg/Tag kommt man schon nach neun Tagen zu einer tatsächlichen Tagesdosis von 3 mg durch diese Akkumulation – „nur“ 3 mg, die aber bei wochenlangen täglichen Gebrauch nicht einfach mehr abgesetzt werden dürfen sondern über zeitweilige Diazepamsubstitution langwierig ausgeschlichen werden müssen). Würden meine Depressionen stärker bis unerträglich werden, würde ich allerdings zum Tetrazyklikum greifen (Johanniskraut oder L-Tryptophan diskutiere ich hier jetzt nicht).

    Der letzte Satz im vorigen Abschnitt verdeutlicht die Grenze, nach deren Überschreiten ich die Notwendigkeit des Einsatzes von Psychopharmaka für notwendig halte: Wenn es unerträglich wird.

    Unerträglich wird es, wenn alle bisher ggf. erfolgreichen Methoden wie Gesprächs- oder Verhaltenstherapie zunehmend versagen und die Krankheit des Patienten bzw. sein Verhalten andere stark in Mitleidenschaft zieht. Das ist de facto auch Fremdgefährdung, wenn auch nicht immer gleich akut. Akut wird diese Gefährdung z.B., wenn der Kranke seine Angehörigen nicht nur nicht mehr erkennt, sondern in ihnen zu bekämpfende Feinde sieht oder gefährliche Handlungen aufgrund von Halluzinationen begeht, usw.

    Man kann nicht eine letztlich ins Absurde gehende Überaktivität von Vorsichtsmaßnahmen leisten und etwa peinlichst genau seine Ansprache an den Kranken andauernd darauf überprüfen, ob darin vielleicht ein Auslöser für einen Schub stärkerer Verwirrung (bis zum Delir) liegen könnte. Eine solche Auffassung verkennt nahezu völlig den endogenen Charakter der Erkrankung (man hat in früheren Zeiten sogar mal versucht, Demenzen psychoanalytisch zu behandeln – natürlich ohne Erfolg, denn es gibt im Allgemeinen bei Demenzen keine verursachenden Psychotraumen in der Kindheit, usw.). Mehr noch: Es besteht die Gefahr einer Verstrickung in Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen, weil man ja immer bei sich bzw. in seinem Verhalten die Ursache für das „Ausflippen“ des Kranken sucht, wenn man exogene bzw. auslösende Reize im eigenen Verhalten vermutet. Selbstverständlich verdient der Kranke ein Maximum an Rücksichtnahme, die er aber oft in seiner krankhaften Realitätsverkennung als Bedrohung empfindet, weil ihm aufgrund von Neuronenverlust das für Gesunde logische Schlussfolgern („was da gemacht wird, dient meinem Schutz“) nicht mehr möglich ist. Auslösende Reize für irrationales Verhalten sind also nicht „außen“ zu suchen sondern „innen“ in der gestörten Hirnaktivität. Daher kann man mitunter machen, was man will, es ist immer falsch in der fehlerhaften subjektiven Sicht des Kranken.

    Es ist also – auf den ersten Blick - die Neurodegeneration, die hier verursacht und keine Psychose. Dieser Unterschied ist mir wichtig, weil daraus tatsächlich ein ernst zu nehmender Einwand für die Verabreichung von Atypika ersichtlich sein könnte. Es ist daher m.E. primär (!) kein psychotischer Wahn, in dem der Demenzkranke lebt, sondern eine reduzierte Welthypothese, die im Verlauf der Krankheit immer mehr von den Hypothesen über die Welt, die Gesunde für die Welt halten, abweicht. Denn wir alle tragen ja nicht die Welt in uns und auch kein Abbild von ihr sondern ein Konstrukt, d.h. eine Hypothese über die Welt. Der Unterschied unserer Konstrukte zu denen des Kranken besteht schlicht und einfach in der besseren Anpassung an die Umwelt weswegen wir unser Leben selbstständig meistern können und der Kranke nicht und daher unserer Hilfe bedarf. Während der Psychotiker keine reduzierte Hypothese sondern eine (krankhaft) exotische Hypothese von Welt in sich trägt, ist der Demenzkranke zur Konstruktion solcher oft bizarren Systeme gar nicht fähig.

    Dennoch scheinen sich bestimmte Symptome Dementer mit Symptomen der Psychose zu ähneln. Da wären z.B. die häufig anzutreffende Diebstahlsparanoia oder Halluzinationen. Eine echte Paranoia – sie ist oft ausgeklügelt – liegt aber m.E. bei Demenz nicht vor und die Halluzinationen sind meist optischer Natur während bei Psychosen akustische Phänomene überwiegen (Stimmen, die beleidigen oder Befehle erteilen, usw. – selbst das muss nicht mit einer Psychose zusammenhängen und kann auf andere Störungen hinweisen).

    Eigentlich ist es eher merkwürdig, dass es bei Demenzen nicht zwangsläufig zu einer Psychose kommt. Denn es findet ja ein zunehmender Ich- oder Kontrollfähigkeitsabbau statt, der mit einem psychotischen Weltkonstrukt (krankhaft) abgewendet werden könnte (bei der Paranoia „rettet“ sich das Gehirn mit einer phantastischen Überhöhung des Selbst – auch der von zig Geheimdiensten Verfolgte ist ja zunächst einmal nichts anderes als in seiner Selbstwahrnehmung ungeheuer wichtig wie auch der Patient, der sich für Gott hält). Also kann man vielleicht vermuten, dass bei der Demenz das Gehirn aufgrund der Schädigungen nicht mehr fähig ist, eine Psychose zu entwickeln und die o.g. Phänomene möglicherweise Ansätze für eine Psychose darstellen (rudimentär psychotisch)? Das würde die Ähnlichkeit der Symptome erklären. Und das würde dann auch den Einsatz von Atypika rechtfertigen. Aber die Dosierung darf dann auch nur der eines „psychotischen Ansatzes“ entsprechend – sprich, sie muss sehr gering gewählt werden. Es geht ja nicht darum einen selbsternannten Gott wieder auf die Erde zu holen oder einem angeblich Verfolgten den Wahn zu nehmen, sondern „nur“ um eine Abschwächung rudimentär psychotischer Symptome.

    Natürlich ist auch hier v.a. die Praxis das Kriterium der Wahrheit. Hilft es oder hilft es nicht – das ist die Frage. In diesem Forum habe ich Erfolgs- und Misserfolgsmeldungen gelesen. Menschen sind verschieden und Krankheitsverläufe sind verschieden. Und wie man im Plattdeutschen sagt „Watt den een sein Uhl is den annern sien Nachtigall“ so mag auch dem einen helfen, was dem anderen schadet. Wenn schon unsere Fingerabdrücke individuell variieren, wie viel mehr Variationen mag man dann erst bei den Vernetzungen von 100 Milliarden Neuronen in menschlichen Gehirnen finden? Man muss jedem einzelnen Kranken ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit widmen, dann – davon bin ich überzeugt – wird auch die beste Methode für jeden gefunden werden. Das Problem besteht also nicht in einem Ja oder Nein bei der Verabreichung von Psychopharmaka sondern in einer individuell peinlichst genau angepassten Medikation. Wer hier meint, leichtfertig Medikamente verabreichen zu müssen ohne ausreichende Fallbegutachtung und ohne engmaschige Kontrollen ist als medizinische Fachkraft m.E. ebenso wenig geeignete wie jemand, der allein auf dubiose Selbstheilungskräfte oder ähnlichem vertraut.

    Soweit meine kurzen „Nachtgedanken“.

    Danke für die Aufmerksamkeit.

    Gruß
    Egon-Martin


  • Re: Kleine spekulative Gedanken zu Atypika


    Im Sommer 2007 musste ich meinen Mann (jetzt 60J alt) in die Psychatrie einweisen lassen wg. Aggressionen gegenüber A l l e n. Nach 3 Wochen, davon 1 Wo. fixiert, da er auch dort geschlagen und getreten hat, wurde er mit folgender Medikamenteneinstellung entlassen: 150mg Seroquel, 2mg Risperdal, 20mg Axura. Er wurde nur nach Drängen von mir beim Oberarzt nachhause entlassen, der behandelnde Arzt wollte ihn in eine geschlossene Station einweisen, da er eine Gefahr für seine Umwelt sei.
    Jetzt nach 1 1/2 Jahren habe ich den liebsten Menschen zuhause. Da ich voll berufstätig bin, wird er morgens um 8:00h abgeholt zur Tagespflege und abend gegen 18:30h wieder nachhause gebracht. Er ist voll mobil, ein guter Esser, er braucht aber bei allen Verrichtungen Hilfe (füttern, Windeln). Auch in der TP gibt es selten Probleme, er geht wohl gerne dorthin.
    Von den Medikamenten haben wir Risperdal langsam bis auf 0,75mg reduzieren können, eine weitere Reduzierung ist aber bis heute fehlgeschlagen: nach 2-3 Wo begannen wieder seine Fehlinterpretationen und damit einher Ängste und folglich Aggressionen.

    Ich bin dankbar, dass es diese Medikamente gibt, die unser Leben wieder lebenswert machen, auch seins!!! Er ist ausgeglichen, schläft ohne Probleme-sehr entspannt-, versucht mir oft, lustige Sachen zu erzählen (weiß ich nur, weil er dabei immer selbst lacht), die ich aber leider nicht verstehe, ich lache dann einfach mit. Er beschäftigt sich mit: Kissen sortieren, Teppichbrücken und Dekorationen umzuordnen, Tischdeckchen vom Tisch zu ziehen, Knöpfe an Herd (hat GSD eine Kindersicherung) und Spülmaschine zu drehen usw. Ich habe mir ein dickes Fell antrainiert, abends gehe ich durch die Wohnung und räume alles wieder an seinen Platz. So lässt man ihn auch in der Tagespflege gewähren.

    Fazit: auch wenn ich die Behandlung meines Mannes in der Psychatrie unmöglich fand (er hatte dort in 3 Wo 5 kg abgenommen, auf meinen Hinweis, dass er Essen und Trinken angereicht bekommen muss, hieß es nur: bei uns isst und trinkt er ganz alleine mit den anderen zusammen im Speisesaal -> Motto: alle Angehörigen sind blöd, nur wir kennen uns aus!)
    UNS HAT DIE MEDIKAMENTENEINSTELLUNG VIEL GEBRACHT UND ICH DANKE DEM OBERARZT, DER DEN ENTLASSUNGSSCHEIN NACHHAUSE UNTERZEICHNET HAT.

    Kommentar


    • Re: Kleine spekulative Gedanken zu Atypika


      Hallo dolofana,

      willkommen im Forum! Ich danke Ihnen für Ihre Schilderungen. Daraus gehen m.E. sowohl die Schatten- als auch die Lichtseiten Ihrer Erfahrungen gut hervor.

      Wenn Sie sich ein Bild über unsere Situation machen möchten, empfehle ich Ihnen die Lektüre „meines“ Threads hier im Forum „Mein alter Herr Eberhard...“. Darin können Sie den Verlauf der Demenz meines Vaters über ein Jahr nachvollziehen.

      Wir kommen jetzt mehr und mehr in kritische Verhalten Vaters hinein, was die Ängste von Mutter und mir natürlich verstärkt. Deswegen nehme ich ja auch schon ab und an ein Beruhigungsmittel. Ich wohne leider nicht am Ort meiner Eltern und fahre immer wieder für Wochen zu meinen Eltern. Mittlerweile mag ich gar nicht mehr zurückfahren an meinen Wohnort, muss dieses aber wegen meiner Verpflichtungen hier. Aber auch hier vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht sorge und immer häufiger telefoniere ich mit Mutter. Bislang ist alles in Ordnung – aber ich weiß auch, dass Mutter mir nicht alles erzählt um mich zu schonen. Ich stelle das in letzter Zeit immer häufiger bei meinen Besuchen fest. Mutter und ich sind über Weinachten übereingekommen, dass in diesem Jahr was geschehen muss. Als erstes wird sie sich erneut an den Hausarzt wenden um eine Änderung der Medikation zu bewirken. Dieser hat sich bislang gesträubt, Risperdal oder ähnliches zu verschreiben. Dann bzw. parallel dazu wird ein Pflegedienst in Anspruch genommen werden. Derzeit überwiegend auf eigene Kosten, da nur Pflegestufe Null (nur kleiner Monatsverrechungsbetrag der Krankenkasse) – was sich vmtl. bald ändern wird. Tagespflege wird in einem ca. 20 km entfernten Ort angeboten – das könnte der folgende Schritt sein. Die Dauerunterbringung in einem Heim wäre der letzte Schritt, den wir so lange wie möglich hinausschieben wollen.

      Gefährliche Aggressivität ist bei Vater bislang nicht aufgetreten, aber Diebstahlsparanoia und Halluzination sowie zunehmende Desorientierung. Es wird zunehmend schwieriger, Vater abends ins Bett zu bekommen, da er glaubt, nach Hause oder zur Arbeit abgeholt zu werden. Dann steht er am Fenster und wartet oder zieht sich die Winterjacke an und will gehen. Mutter regt das immer mehr auf, obwohl ich sage, ihn einfach warten zu lassen bei abgeschlossenem Haus damit er nicht in die Kälte fortläuft. Offengestanden mache ich mir mehr Sorgen um Mutter als um Vater, denn Vater lebt in seiner Welt ohne Krankheitseinsicht. Mit Begriffen wie „Demenz“ oder „Alzheimer“ darf man ihm gar nicht mehr kommen, sonst wird er sehr ärgerlich. Mutter ist sehr ordnungsliebend (wie früher auch Vater). Die Essens- und Teezeiten müssen eingehalten werden und alles muss an seinem Platz sein. Auf das Einhalten von Zeiten bestehe ich auch, da es ein letztes Gerüst zur Zeitorientierung für Vater ist und v.a., weil er nur so mit ausreichend Flüssigkeit versorgt wird – er isst und trinkt noch selbstständig – greift nur manchmal nach Brot, Auflage oder Kuchen etwas daneben und stellt die Tasse neben die Untertasse statt darauf. Mutter regt sich leider schon auf, wenn Vater auch nach der siebten Aufforderung nicht zu den Mahlzeiten erscheint, usw. Das kann auch nerven, ist aber m.E. noch nicht wirklich schlimm außer für Mutter. Schlimm sind v.a. die jetzt zunehmenden Weglauftendenzen (Vater wurde schon mal von einem Bekannten heimgebracht, war tagsüber entwischt). Alles weitere ersehen Sie aus meinem o.g. Thread.

      Ich hoffe, das Vater nicht eines Tages wegen starker Verwirrtheit mit Aggressionen abgeholt werden muss. Dann würde wohl Ähnliches geschehen, wie Sie es geschildert haben. Dem vor allem versuchen wir vorzubeugen. Sie schreiben ja, dass es mit einer Niedrigdosis Risperdal verträglich ist und das ermutigt mich zu der Schlussfolgerung, mit einer Niedrigdosis von Anfang an Schlimmeres zu verhüten. Aber dazu muss der Arzt das erst mal verschreiben und man muss sehr genau auf Nebenwirkungen achten und diese sofort dem Arzt melden.

      Quetiapin – das ist Seroquel – scheint mir eher falsch zu sein bei Morbus Alzheimer, siehe

      http://de.wikipedia.org/wiki/Quetiapin

      Aber die Menschen und Demenzen sind ja verschieden und was hilft, ist richtig.

      Welche Nebenwirkungen haben Sie bei Risperdal erlebt? Sie schreiben ja, dass Sie die Dosis reduzieren. Das würde mich sehr interessieren.

      Ich muss natürlich auch einsehen, dass ich als Laie trotz naturwissenschaftlichen Grundstudiums (bin Ingenieur, 56 Jahre alt) und großem Interesse an Neurobiologie mir nicht die Objektivität eines Experten der Psychiatrie oder Neurologie anmaßen darf zumal ich als Sohn ohnehin emotional befangen bin. Das heißt aber keinesfalls, alles kritiklos hinzunehmen, was Ärzte sagen oder verordnen. Ich habe schon mal einen Unfallchirurgen „belehren“ müssen wegen eines HIT II Verdachtes (eine seltene Autoimmunerkrankung, die man bekommen kann, wenn man bestimmte Blutverdünner – Heparin - nehmen muss, die dann das Gegenteil dessen bewirken, was sie tun sollen) und einer PTP (eine nur scheinbare starke Verminderung der gerinnungsfördernden Blutplättchen bei unsorgfältiger bzw. falscher Messung durch das Labor). Da war der gar nicht drauf gekommen und ich lag über ein Wochenende mit gegipsten Bein ohne Blutverdünner zuhause herum in der ständigen Sorge, eine Embolie zu bekommen. Um das zu klären hatte ich sage und schreibe drei weitere Ärzte konsultiert (damaliger Hausarzt, telefonisch einen diensthabenden Arzt der Notfallambulenz und einen Arzt in einer Klinik, die ich nachts um 01Uhr aufsuchte wegen Schmerzen in linker Brust und linkem Arm – war aber zum Glück nur eine Muskelverspannung wegen der Gehhilfenstöcker). Das sitzt mir heute noch tief im Gedächtnis. Seitdem bin ich ziemlich kritisch gegenüber Ärzten geworden. (Es war dann der alte Hausarzt, der den richtigen Riecher hatte und auf PTP tippte – er ist leider jetzt im Ruhestand.)

      Gruß
      Egon-Martin

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      • Re: Kleine spekulative Gedanken zu Atypika


        Hallo EgonMartin,
        ich glaube auch, dass Deine Mutter eher Probleme hat als Dein Vater. Es gibt hier in Deutschland jede Menge Hilfe, man muss sie nur suchen und zulassen.
        z.B. eine Putzfrau, die die Mutter beim Saubermachen unterstützt, wenn wieder alles in Unordnung ist (kommt bei mir jetzt wöchentlich statt wie früher 2-wöchentlich, ist wirklich nötig, alleine wg. der Fensterscheiben im Wohnzimmer und der dauernden Krümel auf dem Teppich - von den Keksen und Plätzchen, die immer in Reichweite stehen).
        z.B Tagespflege ein- oder mehrmals wöchentlich, einfach mal anschauen, jetzt ist Dein Vater vielleicht noch fit für Kartenspielen oder Mensch-ärgere-Dich-nicht.
        z.B. Kurzzeitpflege einmal im Jahr, damit Mutter einen schönen Erholungsurlaub machen kann (Zuschuss 1.470,00EUR)
        z.B. stundenweise Verhinderungspflege für Hilfskräfte, die z.B. mit Vater spazieren gehen einmal wöchentlich, wenn die Mutter einen Einkaufsbummel macht (es reichen Quittungen der Hilfskräfte für die Erstattung)
        Voraussetzung: Pflegestufe, was man aber bei Demenzkranken eigentlch immer bekommen muss, aber: weglaufen zählt nicht, aber mehrfache Versuche, ihn ins Bett zu bringen (bitte beim Alzheimerforum erkundigen, da gibt es auch Broschüren mit wichtigen Tipps zu bestellen).
        Zu den Medis:
        Mein Mann hatte, als die Aggressionen immer schlimmer wurden (er wurde damals noch zuhause betreut) und er auf alle losging, die etwas von ihm wollten, mit schlagen treten, boxen, 5mg Risperdal bekommen, das hatte aber schlimme Nebenwirkungen, er bekam eine typische Parkinson-Haltung. Da unbedingt etwas geschehen musste, habe ich ihn in die Psychatrie gebracht, dort wurden die Risperdal wieder reduziert auf 2 mg und zusätzlich 150mg Seroquel gegeben. Axura blieb unverändert. Aber auch dort hat er weiterhin das Personal getreten (er wollte sich nicht von fremden Personen ausziehen lassen, verständlich, oder). Nachher wurde er noch fixiert. Aber das ist jetzt schon lange vergessen. Miitlerweile haben wir nach Rücksprache mit dem Neurologen das Risperdal bis auf 0,75mg reduziert, Versuche mit 0,5mg sind fehlgeschlagen, müssen wir uns noch etwas gedulden,
        Das wichtigste Medikament ist aber meine unerschütterliche Liebe zu ihm und diese zeige ich ihm auch mit Küßchen, drücken, sagen, das spürt er und freut ihn sehr. Ich hoffe, dass die schlimme Zeit wie in 2007 sich nicht wiederholt und deshalb werde ich trotz aller Einwände auch die Medikamente nicht ohne weiteres reduzieren/weglassen.
        Das hatte sich in 2007 innerhalb von 2-3 Monaten so rapide verschlechtert, bis dahin war noch eitel Sonnenschein, in diesen Monaten haben seine Fähigkeiten plötzlich so extrem abgebaut (er wusste nicht mehr, was man mit einer Zigarette macht , vorher starker Raucher, er wurde plötzlich inkontinent, er lief weg und fand nicht mehr alleine zurück (wollte er vielleicht auch nicht?), er wurde extrem aggressiv durch Verkennen von Situationen, Fehlinterpretationen; er schlief nachts nicht mehr, lief nur noch rum, auch ich war damals am Ende und habe mir dann in der Klinik Hilfe gesucht). Vorteil der Alzheimer-Demenz: mein Mann hat keinerlei Erinnerung an den Klinikaufenthalt.

        So das war jetzt ein langer Bericht, Sorry

        Kommentar



        • Re: Kleine spekulative Gedanken zu Atypika


          Hallo dolofana,

          ich stehe vor einer ähnlichen Problematik, und wir haben mit meinem Vater (vor ca. 7 Jahren mit 57 J. fings an) auch ähnliche Erfahrungen wie Sie gemacht. Bei ihm lief es auch über Jahre eigentlich ganz gut, und plötzlich über ca. 2 Monate wurde er seltsam, und am Ende kurz vor der Einweisung ist die Psychose dann umgeschlagen und er wurde zusätzlich aggressiv, d.h. er war in einem ausgeprägtem Erregungszustand, seine Nerven lagen blank und kamen nicht mehr zur Ruhe, folgend war natürlich Schlafmangel und so kam er in ein Delir. Er war auf der Geschlossenen, aber Gott sei Dank war es nicht soweit, dass er irgendwie fixiert werden musste, und Gott sei Dank ließ ich mich "nur" zuvor daheim noch auf eine Gabe von maximal 1,5mg Risperdal ein - aber das reichte dass er total durchdrehte! Auch bei uns wurde die Dosis dann in der Klinik erstmal gleich wieder auf 0,5mg gesenkt, dann langsam wieder auf 1mg gesteigert. Daheim dann mit ambulanter Betreuung gingen wir probeweise kurz mal wieder auf 1,5mg über - er wurde zum Roboter. Irgendwann kamen wir dann zu der Dosis, die er nun schon seit 2 Jahren nimmt, 0,6mg (die krumme Zahl ergibt sich daraus, dass er Tropfen statt Tabletten erhält). Deshalb erstarre ich schon, wenn Sie schreiben dass Ihr Mann anfangs 5mg erhielt, ich weiß nicht ob mein Vater das überhaupt überlebt hätte...
          Er ist derzeit sehr gut drauf, und ich würde auch sehr gerne probieren, die Risperdal-Dosis langsam noch mehr zu senken, aber so wie Sie habe ich die gleichen Ängste, dass wir evtl. negative Folgen dann erst wieder in 2-3 Wochen entdecken, und dann wieder hochsteigern müssen. Was dann vor allem für ihn äußerst unangenehm ist, das haben wir ja oft genug und sehr intensiv miterleben müssen. Aber nach nun insgesamt 2,5 Jahren Risperdal-Gabe, und aufgrund dessen, dass er uns jetzt in einer besseren Konstitution erscheint, habe ich einfach ein schlechtes Gefühl ihn weiterhin mit Risperidon zu schädigen. Leider habe ich durchwegs schlechte Erfahrungen mit Ärzten gemacht (diesbezüglich und bis auf Dr. Spruth!), so dass ich weiß dass wir (meine Mutter und ich) bei dieser Entscheidung auf unser Beurteilungsvermögen alleine angewiesen sind.
          Übrigens haben wir das eindeutige Gefühl, dass sich der Zustand meines Vaters parallel zur Steigerung seines Bewegungsvolumens bessert. D.h. je mehr und länger er nun spazieren geht oder Ball spielt, leichte Gymnastik macht (was anderes ist leider in seiner Situation nicht mehr möglich), desto positiver entwickelt er sich. Ich muss manchmal meine Euphorie direkt bremsen, aber er ist inzwischen wieder so bewußt im Hier und Jetzt, man kann mit ihm wieder (sehr begrenzt) Dinge üben, er macht Scherze, seine Bewegungen sind wieder entspannter etc. Allerdings hat er über die Jahre trotzdem sehr abgebaut, was seine Fähigkeiten betrifft, aber auch das Beherrschen von Instinkten (z.B. Zunge bei der Mundpflege), Inkontinenz. Aber auch wie Sie beschreiben, ich merke wie wahnsinnig gut ihm die Zuwendung tut, die wir ihm zukommen lassen, und auch das Lachen. Wir sind inzwischen ein wirklich verrückter Haufen daheim, aber genau das braucht er um sich ein wenig entfalten zu können und seine Komplexe durch seine Einschränkung hie und da zu vergessen. Ausserdem rede ich ganz bewußt manchmal mit ihm ganz "unter vier Augen" und versuche sein Selbstbewußtsein zu schärfen und zu stärken. Auch da habe ich bemerkt, wie sensibel er darauf reagiert und es sich zu Herzen nimmt; wohlbemerkt ein Mensch bei dem Außenstehende denken "der bekommt doch fast gar nichts mehr mit". Z.B. nimmt er Aufforderungen von mir an, indem er auch noch am nächsten Tag Dinge versucht selbstständig auszuführen, zu was ich ihn am Vortag aufforderte. Und ist stolz darauf gelobt zu werden.
          Übrigens, bei meinem Vater ist die Aphasie ja so stark, dass man sich nicht wirklich unterhalten kann. Aber ich habe schon das Gefühl dass er sich noch an seinen Aufenthalt in der Gerontopsychiatrie erinnern kann. Z.B. wenn es Zeiten gab, in denen er (durch einen Infekt z.B. ausgelöst) wieder etwas schlechtere Nerven hatte, und wir stiegen abends ins Auto um irgendwo hin zu fahren, war er sehr angespannt. Ich merkte nach einiger Zeit dass er sich erst wieder entspannte, wenn er merkte dass wir nicht ins Krankenhaus fahren (damals war es auch abends, als wir ihn einliefern mussten). Ganz allgemein darf man sich da nichts vormachen; es ist meistens unausweichlich dass ein Mensch in so einem Zustand stationär gehen muss, aber so ein Aufenthalt auf einer geschlossenen Station oder auch länger im Krankenhaus hinterläßt bestimmt ein Trauma. Das Problem ist auch, dass man das mit solchen Patienten ja nie mehr im Nachhinein aufarbeiten kann.
          Nun habe ich auch zu viel geschrieben...
          Alles Gute, Flieder

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          • Re: Kleine spekulative Gedanken zu Atypika


            Hallo dolofana,

            vielen Dank für Ihre Tipps. An derartige Dinge denke ich auch schon seit geraumer Zeit und im laufenden Jahr wird davon wohl auch einiges umgesetzt werden müssen.

            Wenn der Hausarzt zunächst z.B. Risperdal 0,5 mg/ Tag verschreiben sollte, werden wir damit einen Versuch starten. Zeigen sich gefährliche Gangunsicherheit oder verstärkt apathisches Verhalten, werden wir den Versuch beenden. Es gilt bei Überwiegen der Risiken vor dem Nutzen, auf die riskanten Mittel zu verzichten. Irgendwie müssen wir dann versuchen, die Verhaltensstörungen mit anderen Mitteln in den Griff zu bekommen. Wie – weiß ich leider nicht, sonst würde ich nicht immer wieder an Medikamenteneinsatz denken.

            Gesprächstherapeutisch ist nicht mehr viel zu machen, es sei denn, ein professioneller Therapeut versucht sein Können – ich bin jedenfalls am Ende. Viele stundenlange Gespräche habe ich am Ende frustriert mit Vater hinter mir und Mutter geht es nicht anders. Es ist schier zum Verzweifeln, dass man zeitweise keinen vernünftigen Gedanken mehr in Vaters Reden erkennen kann. Es ist ein Durcheinander aus vergangenen Erleben verschiedener Zeiten in seiner Biographie, in die man sich immer schwerer hineindenken kann. (Auch hier fallen mir wieder psychotische Verhalten ein, z.B. in dem brüchigen und wild assoziierenden Reden sog. schizophren Erkrankter.) Aber gerade das muss man ja können – in den Schuhen des Kranken gehen, wie es so schön heißt – um überhaupt auch nur einen Ansatz von Hilfe zu ermöglichen. Wenn man aber in einem unerträglich werdenden System nicht mehr hineinkommt, muss man es dämpfen oder abstellen und das geht m.E. nur mit Medikamenten.

            Liebe ist ja selbstverständlich, sonst brauchte man sich gar nicht zu bemühen und würde nur abschieben. Es ist auch klar, dass man mit Fortschreiten der Krankheit immer mehr die emotionalen Seiten zu Gesicht bekommt bei gleichzeitigem Abbau der rationalen. Streicheln, ein bestimmter beruhigender Klang der Stimme, Musik, usw. können was bringen und sind auch wichtig. Aber leider sind auch dem Grenzen gesetzt.

            Gruß
            Egon-Martin

            Kommentar


            • Re: Kleine spekulative Gedanken zu Atypika


              Hallo EgonMartin,

              bei Medikamenten kann es auch bei längerer Eingabe wieder zu einer Reduzierung der Nebenwirkungen kommen, also nicht direkt aufgeben.
              Risperdal fängt man auch mit einer sehr geringen Dosis an und steigert dann, bis es zu einer Besserung kommt. Der Fehler bei uns war, dass der Arzt nicht 2-3 Wochen abgewartet hat, sondern bereits jeweils nach 1 Woche weiter erhöht hat. Ich kannte mich damals noch nicht damit aus. Jetzt weiß ich, dass eine Änderung der Menge sich erst nach 2-3 Wo. bemerkbar macht. Die Reduzierungen haben wir jeweils vorgenommen, wenn für einige Wochen nichts Außergewöhnliches anstand. Aber wie bereits geschrieben, unter 0,75mg können wir zZ noch nicht gehen, bei 0,5mg fangen wieder Ängste an(z.B. vor Spiegelbild, vor Geräuschen), das sehe ich ihm an den Augen und seinen Blicken an, er klammert sich dann auch immer an mir fest. Das Seroquel alleine kann das wohl nicht auffangen.
              Jetzt mit seinen Medis lebt er wie ein kleines, neugieriges Kind, das alles ausprobiert, alles anfasst (Phase: alles-in-den-Mund-nehmen -einschließlich Gras!- war in 2008 stark ausgeprägt und jetzt wieder vorbei).
              Meine Hypothese: vielleicht lebt er jetzt noch mal seine Kindheit durch und genießt es, verwöhnt zu werden und all das zu machen, was er früher nicht konnte (er hatte einen kränklichen jüngeren Bruder, auf den er immer Rücksicht nehmen musste). Anmerkung dazu: er könnte Fingerfood durchaus selbst essen, macht er auch ab und zu, aber manchmal weigert er sich und will, dass ich es ihm in den Mund stecke, und er hört sofort auf zu essen, wenn man sich nicht 100%ig dabei um ihn kümmert . Er setzt sich deshalb in der Tagespflege oder bei der Kurzzeitpflege nicht zu den anderen an den Tisch, er will, dass jemand nur für ihn da ist (Nachholbedarf?).
              Ebenso seine Aggressionsphase: er hatte mich immer bei anderen Männern vermutet, wenn ich zur Arbeit war und wurde deshalb auch mir und den Pflegepersonen, die ihn betreut haben, gegenüber sehr böse. Er hatte mich vermutlich für seine 1. Frau gehalten, die ihn mehrmals betrogen hat und letztlich wegen eines anderen verlassen hat. Da er eher ein introvertierter Mensch ist, hat er mit den Aggressionen, die er im "früheren, normalen" Leben nie hatte, glaube ich, alles verarbeitet und sich vielleicht dadurch befreit (???).
              Vielleicht ist das alles weit hergeholt, aber ich mache mir schon manchmal Gedanken, warum und wieso alles so ist wie es jetzt ist. Es gibt sicher vieles, was wir nicht erklären können.

              Kommentar



              • Re: Kleine spekulative Gedanken zu Atypika


                Hallo dolofana,

                Sie sprechen einige sehr interessante Aspekte der Demenzen an, die v.a. bei der sog. Validation nach Frau NAOMI FEIL eine große Rolle spielen (bitte mal nach „Validation“ und „Naomi Feil“ im Internet suchen, das wird Ihnen helfen).

                Die Validation geht von einer sog. Aufarbeitung alter im Leben anscheinend versäumter oder verdrängter Dinge aus. Diese Aufarbeitung sei notwendig, um schlussendlich in Frieden loslassen zu können. Da ist was dran. Mein Vater wäre z.B. liebend gerne Pilot geworden. Er hat im Krieg Flugzeugbau gelernt und alle Segelflugscheine gemacht. Dann musste er in den letzten Kriegstagen noch an die Front, die schon im eigenen Land verlief und alle seine Träume wurden hinfällig. Nach Gefangenschaft und den Nachkriegswirren ist es ihm aus mir unbekannten Gründen (wozu natürlich auch der objektive Umstand gehörte, dass ein besiegtes Land nicht gleich wieder mit Piloten ausgestattet werden sollte) nicht gelungen, seinen alten Traum weiter zu verfolgen. Ich weiß nur aus Andeutungen früherer Gespräche, dass er sehr schreckliche Dinge im Krieg erlebt hatte, die für einen Jugendlichen wohl nicht leicht zu verkraften waren. Ich kaufe Vater immer mal wieder Zeitschriften über Nostalgieflieger und er erkennt sofort die alte Ju 52, den Jäger Me 109, Reihen- und Sternmotore, usw. und fängt an zu erzählen. Dabei kommt auch so manches an Humor zutage. In letzter Zeit funktioniert das nicht mehr richtig. Er hat verstärkte Wortfindungsstörungen und kommt auch inhaltlich und mit den Zeiten durcheinander. So wollte er die Freude, die er beim Anblick der Bilder alter Maschinen empfand, sogleich mit „seinen Kameraden“ teilen, war also plötzlich zeitlich wieder in den frühen vierziger Jahren. Als er einmal wieder nicht in sein Bett wollte und sagte, dass er sich hier nicht wohlfühle, antwortete er auf die Frage, wo er denn hin wolle, mit Mitteldeutschland. Auf die Frage, was er denn da wolle, sagte er: Flugzeuge bauen. Es gelang dann sehr mühsam, ihn davon zu überzeugen, dass heute ganz andere Flugzeugtypen gebaut würden und er wohl doch etwas aus dem Geschäft heraus wäre, was aber nicht schlimm sei, denn er dürfe seinen Ruhestand genießen.

                In einem der ersten, für Laien geschriebenen Bücher über Alzheimer, die ich las, wurde u.a. die These vertreten, dass bei dieser Demenz zuerst die zuletzt gelernten und gespeicherten Eindrücke im Gehirn verschwinden und dann nach und nach langsam immer mehr auch die Vergangenheit (Erinnerungen) gelöscht wird, so dass der Kranke eine ihm nicht bewusste „Reise“ bis zurück in seine Kindheit macht. Auch daran ist was dran. So hat Vater zuerst die korrekte Bedienung seines Handy vergessen, das er erst seit wenigen Jahren hatte und nur wenig benutzte, obwohl er mit allen Funktionen gut vertraut war. Nach dieser Logik wäre Vater also jetzt in den vierziger Jahren angekommen, in seiner Jugendzeit. Das ist aber so einfach nun auch wieder nicht, denn er weiß sehr wohl auch noch Dinge aus den fünfziger, sechziger und spätere Zeiten. Es ist eher ein Gemisch aus Erinnerungen, aus denen jene hervorstechen, die emotional besonders bedeutungsvoll für ihn sind. Man darf also diese These nicht einfach linear oder mechanistisch deuten. Ein einfaches Beispiel aus unser aller Erleben verdeutlicht das: Wenn wir gefragt waren, was am 10. September 2001 geschah, können wir das wohl kaum erinnern. Was aber am 11. September 2001 geschah, wissen wir sehr gut, denn dieses Datum ist mit einer aufsehenerregenden Katastrophe verbunden, die sich uns tief emotional eingeprägt hat. Und wir wissen auch, was wir damals gemacht haben (ich z.B. hatte gerade eine Tablette gegen eine fiebrige Erkältung geschluckt, als ich die Bilder im Fernsehen sah und erinnere mich einer großen ohnmächtigen Wut gegen die Terroristen, die ich spontan empfand). Emotional stark befrachtete Ereignissen bleiben lange in der Erinnerung haften und ragen bei einer Demenz später wie die Gipfel von Bergen aus einem überfluteten Land. Unsere Aufgabe besteht darin, so gut wie möglich mit diesen Resten zu arbeiten – eine Arbeit, die man sich selbstverständlich nicht durch Medikamente abnehmen lassen kann. Medis sind nur Unterstützung, das Hauptaugenmerk liegt weiterhin in der Arbeit mit dem Kranken. Leider wird das in manchen Heimen und wohl auch durch unerfahrene oder überlastete Angehörige zu eine Schieflast zugunsten einer zunehmenden Sedierung mittels Medikamente bis hin zum vorzeitigen Vegetieren. Diese Gefahr muss man ständig im Auge behalten.

                Es geht nicht um ein „entweder-oder“ bezüglich Medikamente, usw. und der Gesprächs- und Verhaltenstherapie (nicht Psychoanalyse) sondern um ein „sowohl-als-auch“. Alles mit Gesprächen zu machen, geht ebenso wenig, wie alles mit Medikamenten regeln zu wollen. Die richtige Ballance zu finden, ist allerdings auch nicht leicht.

                Gruß
                Egon-Martin

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                • Re: Kleine spekulative Gedanken zu Atypika


                  Hallo EgonMartin,

                  die Validation nach Feil geht leider kaum bei Demenzkranken mit frühem Beginn, da dort (wie bei meinem Mann) die Sprache zuerst verloren geht und die Validation in Form von Gesprächen nicht mehr möglich ist. Steht auch genau so im Buch.
                  Dass das zuletzt gelernte und das zuletzt erlebte zuerst weg ist, stimmt genau. Mein Mann hat vor 35 Jahren als letzte Sprache Deutsch gelernt, diese hatte er als erste vergessen, obwohl "verstehen" geht noch ganz gut. Wenn er jetzt noch etwas spricht, ist das in seiner Muttersprache, die ich, wie ich ihn kennenlernte, auch gelernt habe, um mich mit seinen Verwandten und Freunden unterhalten zu können. Jetzt kann ich das wirklich brauchen. Ich weiß aber nicht wirklich, ob er meine Worte (egal ob deutsch oder rumänisch)tatsächlich wörtlich versteht, oder im Zusammenhang mit meinen Gesten oder aus der Situation heraus versteht. z.B. Hast Du noch Hunger ? wenn sein Teller leer ist, dann antwortet er korrekt mit DA oder NU oder nur mit Kopfschütteln. Es ist sowieso enorm, welche Fähigkeiten er entwickelt hat, mir zu zeigen, was er möchte: Besteck aus der Schublade holen: ich habe Hunger; leere Flaschen aus dem Kasten holen: ich habe Durst; sích genau vor den Fernseher stellen: kümmere dich jetzt um mich; mich an der Hand nehmen: ich will dir was zeigen. Es ist schade, dass andere Kommunikation kaum noch möglich ist. Aber bei genauer Beobachtung kann ich noch viel erkennen. Ich lese ihm auch morgens aus der Tageszeitung vor, wenn auch nur "zensiert", also nur schöne oder lustige Dinge, den Text ändere ich dann geringfügig in einfache Sprache ab.
                  Es ist schön, dass man hier über seine Probleme schreiben kann, auch wenn es zZ bei uns sehr gut läuft, was auch sicher damit zu tun hat, dass ich nicht 24 Stunden 7 Tage die Woche pflege, sondern meine Selbstbestätigung/meinen Ausgleich im Beruf finde.

                  Dolofana

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                  • Re: Kleine spekulative Gedanken zu Atypika


                    Liebe dolofana,
                    Ihre Schilderung, wie Ihr Mann mit Ihnen kommuniziert, beeindruckt mich tief. Da sind ja völlig logische Abfolgen zu erkennen - das verblüfft mich. Wie alt ist Ihr Mann jetzt und wie lange ist die Krankheit bei ihm diagnostiziert? Wer kümmert sich um ihn, wenn Sie Ihrem Beruf nachgehen? Haben Sie Unterstützung? Sie haben meine Bewunderung, wie Sie das gemeinsam meistern. Herzlichst Leona

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                    • Re: Kleine spekulative Gedanken zu Atypika


                      Hallo Leona,

                      mein Mann ist jetzt 60 J, Diagnose 1.2.2005 (ein Datum, das ich nicht mehr vergesse!), die ersten Auffälligkeiten gab es aber schon früher. Im Frühsommer 2004 wurde ich vom Vorgesetzten meines Mannes informiert, dass irgendwas nicht stimmt und er vermittelte kurzfristig einen Termin bei einer Neurologin. Sie versuchte es erst mit Tabletten, dann schickte sie uns zur Gedächtnisambulanz der Uniklinik, die letztlich alle Tests usw machten bis zur 90% Diagnose Demenz Typ Alzheimer mit frühem Beginn.
                      Bis zu dem Absturz 007 verlief unser Leben einigermaßen ohne große Komplikationen. Wir konnten in der Zeit sogar noch schöne Reisen machen, Karibik, USA. Allerdings wurde er immer ängstlicher und hing an mir wie eine Klette, was manchmal schon nervig war (die Zeit hätte ich aber gerne wieder zurück).
                      Jetzt geht er Mo-Fr von 08:00 bis 18:00h (gerne) zur Tagespflege und ich (55J) fahre, wenn er abgeholt wurde zur Arbeit. Ansonsten habe ich noch eine Hilfe zum Putzen, Essen bringe ich werktags meistens aus unserer Betriebskantine mit, das mache ich dann abends für uns beide warm. Also ich nutze alles aus, um die arbeitsfreie Zeit mit meinem Mann zu verbringen. Ich brauche auch eine Menge Zeit für ihn, da alleine morgens in fertig machen, dauert mind. 1 Stunde (wenn er nicht dauernd hin und her läuft, sonst dauert es noch länger, weil ich ihn immer wieder zurück ins Bad führen muss), frühstücken mit Zeitung vorlesen ca. 30 Minuten. Abends mind. die gleiche Zeit
                      Ich weiß nicht, wie die Pflegekassen auf die paar Minuten in ihren Aufstellungen kommen. Seit 2007 haben wir bereits PS III, weil eine Krankenpflegerin, die sich mit Dementen auskennt, vom MDK geschickt wurde. Deshalb brauche ich mir keine Gedanken zu machen um die Minuten, Stunden der Pflege.
                      Trotz allem: ich möchte meinen Mann nicht missen und ein Heim kommt in unserer jetzigen Situation nicht in Frage (außer zur Kurzzeitpflege während meines Urlaubs).

                      Ich hatte mir mal einige Berichte von Ihnen durchgelesen mit den Problemen der Fremdunterbringung, ein Horror. Wie ist der Stand der Dinge denn jetzt? Sorry, vielleicht steht es ja irgendwo und ich habe es nicht gelesen. Im Moment bin ich krank wg. einer schlimmen Bronchitis, deshalb habe ich zZ auch Zeit, hier im Forum etwas zu schreiben, das wird bald wieder anders sein.

                      Dolofana.

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                      • Re: Kleine spekulative Gedanken zu Atypika


                        Hallo Dolofana,

                        ich möchte Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich danken für Ihre Beiträge. Sie machen Mut. Bleiben Sie bitte - soweit es Ihnen möglich ist - dem Forum treu.

                        (Natürlich gilet das mehr oder weniger auch für alle anderen Beiträge - damit sich niemand zurückgesetzt fühle.)

                        Herzliche Grüße
                        Egon-Martin

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